mayday mayday ... eastern wings 610
ist denn das für ein Laden? Hab' ich noch nie gehört.«
»Sie fliegen Miami auch nur einmal in der Woche an. Eine Regionallinie. Champagner werden die dir wahrscheinlich nicht servieren. Aber was soll's, billiger ist der Trip nicht zu haben.«
Anita lächelte. Sie hatten sich schon als Kids gekannt, hatten beim Calle-Ocho-Festival in derselben Rumba-Gruppe zusammen getanzt. Wie lange war das her?
»Ich kann's immer noch nicht glauben. Bei allen Heiligen, was willst du bloß in Sioux City?«
»Leben«, sagte Maria, ganz einfach. »Nichts als leben …«
Es war sechzehn Uhr dreißig, als Brückner zusammen mit Bruno das Café ›Boatspeople‹ verließ. Eine Endlosdebatte über das Thema ›Wird Mr. Murray nun Bescheid gesagt oder nicht?‹ lag hinter ihm. Schließlich, Einbrüche gibt es in Miami am laufenden Meter. Und viel zu Bruch war auch nicht gegangen. Eine Spiegelscheibe, einige Teller, ein paar Schubladenkanten, zwei oder drei verkratzte Schlösser. Natürlich wollte Brückner bezahlen, doch Bruno, Pragmatiker wie stets, hatte die Ansicht vertreten, daß, wenn schon nichts verschwunden wäre, Murray auch nichts merken würde. Und falls doch, konnte ja die Versicherung aufkommen. Johnny jedenfalls würde das Haus schon wieder auf Vordermann bringen.
Nur, war es für Paul nicht zu gefährlich, in Coral Gables zu bleiben?
Als sie bei diesem Problem angelangt waren, überquerten sie gerade die Zufahrt zum Dixie Highway. Gleich links mündete die Mango Street.
»Mein Gott, wieso denn? Was haben sie schon gefunden? Meine Unterlagen liegen Gott sei Dank bei dir. War doch eine Fehlanzeige für sie. Warum sollten sie also noch mal zurückkommen?«
Bruno schüttelte den Kopf und starrte unter zusammengezogenen Brauen mißbilligend auf die Straße.
Die Ampel wechselte. Sie gingen weiter. »Ich hab' zwar keine Ahnung, was in letzter Zeit in dich gefahren ist, Junge, aber daß du jetzt auch noch Selbstmordgelüste aufweist? Mensch, überleg doch! Falls deine Theorie stimmt, falls das tatsächlich irgendwelche Profis sind, die dir auf den Hals gehetzt werden, weil die Gegenseite Lunte riecht, ja dann …« Er blieb plötzlich stehen: »Mein Gott, warum haust du nicht ab zum Flughafen? Du brauchst dir noch nicht mal ein Ticket zu besorgen. Irgendein LH-Kapitän, der dich im Cockpit mitnimmt, wird sich schon finden. Mann, ich versteh' überhaupt nicht, wieso du hier bleibst und ich dich noch länger ertragen soll.«
»Nun beruhig dich mal!«
Sie gingen weiter. Sie gingen auf der rechten Straßenseite. Eine Autokolonne kam ihnen entgegen, und so nahmen sie den Bürgersteig, der an den Alleebäumen vorbeiführte. Das erste der Fahrzeuge war ein grüngestrichener Lieferwagen, dahinter folgte eine Limousine, dann kam erneut ein Pick-up und hinter ihm ein dunkelblau lackierter brandneuer Volvo-Kombi. Der Kombi hielt jetzt an und wartete, bis die anderen Wagen die Straße geräumt hatten. Brückner sah noch, wie die getönten Scheiben herabsanken und ein Mann mit Sonnenbrille den Kopf zum Fenster herausschob und sich umblickte, als suche er eine Hausnummer.
»Das erste, Paul, wenn du noch einen Funken Verstand hast, ist, daß du dich aus Coral Gables verziehst. Du könntest ja runter zum Strand nach …«
Das war es, was er noch von Bruno hörte. Die Räder des Volvos kreischten, als der Wagen jäh nach vorne schoß, die Mitte der Fahrbahn einnahm und auf sie zuraste.
»Paß auf!«
Brückner erhielt einen Stoß in die Seite, der ihn taumeln ließ, und so wäre er zu allem Unglück beinahe auf der Fahrbahn aufgeschlagen. In der letzten Sekunde riß er sich herum und warf sich instinktiv hinter einen der Baumstämme. Und dann war es wieder wie an dieser Fabrikmauer in der Ziegelei am Comer See, nur aufdringlicher, gemeiner, näher, lauter, tödlicher. Und daß er diesmal die Gesichter sehen konnte. Und die Stummelläufe ihrer Waffen. Und daß ihm diesmal das Geknatter in den Ohren sang und er die Einschläge der Kugeln neben seinem Ellbogen vorüberflitzen sah. Dicht? Zehn, vielleicht sogar nur fünf Zentimeter …
Stimmen. Irgend jemand brüllte, nein, mehrere Leute brüllten.
Der Volvo war an ihnen vorbeigerast, in östlicher Richtung, die bullige Schnauze dem Highway zugewandt, aber dort oben an der Kreuzung, vor der Auffahrt zur Le Jeune, vollführte er mit Gekreisch eine Wendung und raste erneut die Straße herab.
»Der kommt wieder!« schrie Bruno.
Er kam nicht.
Aus dieser Seitenstraße der Mango Street,
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