mayday mayday ... eastern wings 610
Das wird sie, wie ich es sehe, nur einer Person gegenüber tun, der sie vertraut. Und zu Ihnen scheint sie ja Vertrauen gefaßt zu haben. Sonst hätte sie Sie nicht angerufen.«
Brückner nickte.
»Sie haben erzählt, daß sie beabsichtigt, Miami zu verlassen und mit ihren Kindern nach Sioux City zu ziehen. Wissen Sie, mit welcher Maschine sie fliegt?«
»Keine Ahnung.«
»Na, wir werden versuchen, es herauszufinden. Wichtig ist, daß Sie wieder Kontakt mit ihr aufnehmen. Und ich sehe eine verdammt gute Gelegenheit zu einem solchen Kontakt.«
»Und die wäre?«
»Der Trip nach Sioux City«, sagte der Mann mit dem blassen Gesicht und dem dünnen Lächeln. »Sie können ja dann mit ihren Kindern spielen. Vielleicht erzählt sie Ihnen dabei noch etwas mehr, als wir bereits wissen …«
Es war kurz nach vierzehn Uhr. Mit der Klimaanlage in dem alten, klapprigen Taxi, das Brückner hinunter zum Coconut Grove an den Strand brachte, stimmte irgendwas nicht. Die Hitze war unerträglich. Als er den Fahrer bat, die Scheiben herunterzulassen, wurde es noch schlimmer. Er drehte den Kopf und blickte durch das Rückfenster. Einen oder zwei Agenten hatte er mindestens im Nacken, doch in welchem der Fahrzeuge sie ihm folgten, war nicht auszumachen. Es interessierte ihn auch herzlich wenig.
Er ließ den Fahrer am alten Yachthafen des Coconut Grove halten, bezahlte und stieg aus. Nicht ein einziger Lufthauch. Der Atlantik grau und glatt wie eine gefüllte Ölwanne. Die Menschen, die um diese Stunde den Beach bevölkerten, drängten sich unter ihren Sonnenschirmen zusammen. Er ging an der Erfrischungsbude vorbei, versuchte möglichst wenig von dem Gestank aus den Abfalltonnen in die Nase zu bekommen und lief über die Betonrampe der Hafenmole entgegen. Die ›Alicia‹ war als letztes Boot zwischen Wellenbrechern und Pier vertäut.
Er drehte sich um. Vielleicht, daß die FBI-Leute in ihrem Auto Badezeug angezogen hatten; eine Figur, die nach Agent aussah, war jedenfalls nirgends zu sehen. Er zog das Boot an die Pier und sprang an Bord. Er sah sich um. Das Deck blitzte vor Sauberkeit.
Conolly hatte am Ende nachgegeben. Er konnte sein Versteck selbst aussuchen. Hier hatte er das Meer auf Armeslänge. Es mochte heiß sein, aber: »Kevin hat eine richtige Luxuskabine«, hatte Bruno gesagt. »Leg ihm ein paar Dollars auf den Tisch, und du kannst sie haben. Da bin ich mir sicher.«
Keine üble Idee. Besser jedenfalls als irgendeine FBI-Zementhöhle irgendwo in dieser verrückten Stadt.
»Kevin?«
Nichts. Ein paar Möwen strichen flach über den Strand und pickten nach Abfällen.
»Kevin!«
Er schien nicht hier zu sein. Doch, die Schiebetür zum Salon stand einen Spalt offen. Brückner schob sie ganz zurück und trat in das lichtdurchflossene Dämmern. Irgendwo im Schiff tuckerte ein Motor. Eine Pumpe, vielleicht das Lichtaggregat? Er bewegte sich nicht, rief den Namen nicht noch einmal, stand einfach da, erfüllt von dem unnennbaren Gefühl, daß hier etwas nicht stimmte, daß sich etwas geändert hatte, etwas, das gar nicht gut war. Die Pin-up-Girls, mit denen Kevin die rechte Salonseite tapeziert hatte, lächelten ihn über ihren entblößten Brüsten an.
Ein Aschenbecher lag am Boden. Na und? Aber hier – die dunklen Punkte zwischen den Einschnitten der Verkleidung aus Teakholzleisten? Vier. Dort wieder zwei. Wie gestanzt.
Er machte noch drei Schritte. Sie genügten. Der Salontisch hatte ihm die Sicht genommen. Nun konnte er sehen: eine halb geöffnete Tür. Sie führte zum Kabinengang. Und auf dem freibleibenden unteren Teil des Rahmens – zwei weiße, längliche Formen. Sohlen. Die geriffelten Gummisohlen zweier Turnschuhe. Vorsichtig, ganz vorsichtig schob er die Tür zurück.
Kevin! Sagte er es?
Er dachte es nur.
Da lag er, die Arme friedlich über der Brust gekreuzt, den Kopf seitwärts, lag da wie ein schlafendes Kind. Der dunkle Fleck auf der Sisalbespannung des Korridors war Blut. Kevin schlief nicht …
Brückner bückte sich, berührte die Halsschlagader, zog die Hand zurück. Und als er nun aufstand, waren Knie und Beine schwer wie Blei. Kevin Wilson war tot.
Das Funktelefon, das an der Wand neben dem Salontisch hing, rührte er nicht an. Er wußte, er hatte weder seine Gedanken noch seine Stimme genügend unter Kontrolle, um die Polizei oder Conolly anzurufen. Er ging zurück ans Heck, setzte sich auf die Holzbank und schloß die Augen. Wie lange – er wußte es nicht. So lange jedenfalls, bis sich
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