mayday mayday ... eastern wings 610
Kurzurlaub anzutreten.
Tony hatte schon wieder den Walkman über den Kopf gestülpt, Conchi trug ihre feinsten Lackschuhe und ihr dunkelblaues Seidenkleid mit dem weißen Kragen. Schließlich war dies ihr erster langer Flug. Einen guten Eindruck wollte sie dabei schon machen.
Es war auch Conchi, die an einem der Andenkenstände in der Halle dieses grauenhafte Geschenkmonster entdeckte: ein handtellergroßes Cello aus goldfunkelndem Plastik, das obendrein noch eine Uhr in seinem Bauch trug. Die Uhr hatte ein rubinrotes Zifferblatt!
Conchi bekam runde Augen.
»Mami, das kaufen wir! Ein Cello! Wir haben doch kein Geschenk für den Opa.«
»Du spinnst ja, Conchi, dieses Cello würde er uns an den Kopf knallen.«
Und Tony? Herrgott noch mal, der war schon wieder zwanzig Meter weiter! Dort drüben. Ein Glück, daß er seine giftgrüne Baseballjacke trug. Ging, einfach so, den Walkman auf dem Kopf, eingehüllt in seine Welt aus Tönen.
Maria schob ihre beiden Kinder energisch an eine spiegelverkleidete Säule und befahl ihnen, stehenzubleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren.
»Ich hol' mir noch ein paar Zeitungen.«
»Und Kartoffelchips!«
»Keine Chips.«
Gott sei Dank, am Zeitungsstand herrschte kein Gedränge. Nur zwei ältere Frauen standen dort, die sich Bonbons und Kaugummis in eine Tüte packen ließen. Zur selben Sekunde, als Maria sich neben sie stellte, löste sich aus einer Gruppe wild durcheinander schreiender Touristen mit Blumenhemden und Miami-Hüten auf dem Kopf ein Mann. Auch er im grellen Touristenfummel: schmal, dunkel, eine Sonnenbrille auf der Nase.
Maria beachtete ihn nicht.
Und sie sah auch nicht den anderen Mann, einen braungebrannten blonden Hünen, der halb links hinter ihr, etwa fünf Meter entfernt, gerade den Reißverschluß seines blauen Racketbags zuzog.
Maria dachte an Zeitschriften. Der Flug dauerte drei Stunden. Nichts mit Mode, Kosmetik, Erziehung, Krankheit oder Liebe hatte sie im Sinn – ein ordentliches Einrichtungsmagazin wollte sie kaufen, etwas über Wohnungsdekoration. Lieber Gott, wie freute sie sich darauf, endlich eine Wohnung einrichten zu können, ohne daß ihr jemand dazwischenredete. Eine Wohnung nach eigenem Geschmack – ihre Wohnung!
Die Verkäuferin wandte sich ihr zu.
»Haben Sie ›House and Garden‹? Oder ›Oase‹? Zeigen Sie mir bitte ein paar Wohnzeitschriften.«
Sie beugte sich über den farbigen Glanzdruck, betrachtete den efeuumrankten Eingang eines Landhauses, vor dem zwei Liegestühle standen – den Mann, der hinter ihr aufgetaucht war, bemerkte sie nicht. Sie wußte auch nichts von dem Messer, das er plötzlich in der Hand hielt. Sie sah auch den anderen nicht, der sich auf ihn warf und ihn mit schwingender Handkante ausschaltete.
Es ging alles so schnell, so lautlos.
Antonio Rosario stand im Waschraum und zog den Reißverschluß seines Hosenschlitzes hoch. Ausgepumpt und müde fühlte er sich, dazu noch dieses Prickeln in der Harnröhre. Er hatte zu viel getrunken, zu scharf gegessen letzte Nacht, oder sich womöglich … Nein, bloß nicht! Dios mío ! Was für ein Start in einen neuen Tag! Und dann wirft dich deine Tochter mit der Mitteilung aus dem Bett, daß sie dich zwar liebt, aber leider nach Sioux City fliegen müsse …
Er ging zum Spiegel und starrte melancholisch auf die bräunlichen Ringe unter seinen dunklen Augen.
Die Tür öffnete sich. Es war Hardy McCore, der Werkmeister der Triebwerke-Abteilung der Lidell Aircraft Corporation. Untersetzt, mit diesem rotgrauen Haargestrüpp auf dem Kopf, strahlte er meist gute Laune aus, heute jedoch schien McCore in einer milden Form von Panik.
»Mr. Rosario!«
»Was ist denn, Hardy?«
»Fragen Sie bloß nicht! Trouble. Oh, verdammt, ich war schon beim Chef! Aber der ist gerade beim Diktieren. Wir haben doch vorgestern zur Walcott-Werft eine Lieferung von Turbofan-Ringen geschickt.«
»Und?«
»Die Dinger sind auch eingebaut worden. Aber die Verschlußriegelungen …«
Antonio Rosario hatte keine Ahnung von Verschlußriegelungen an Turbofan-Ringen. Aber er erinnerte sich an das Kartonproblem. »Und? Was ist damit?«
»Die sind von einem anderen Triebwerk. Auch ein P- und W-Triebwerk. Aber das nächste Muster …«
»Und? Was heißt das?«
»Was das heißt? Mann – Mr. Rosario! Die Ringe mußten geändert werden, damit sie paßten. Der Unterschied ist zwar so minimal, daß er nicht einmal den Monteuren bei Walcott aufgefallen ist, und es handelte sich auch nur um
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