mayday mayday ... eastern wings 610
er Elena.
Die Bilder waren entsetzlich.
Man erkannte ineinander verkeilte Flugzeugteile, Männer in naßglänzenden Schutzanzügen. Man sah zerfetztes, ausgeglühtes Metall, vom Löschschaum weißlich zugeschmiert.
»Das waren zwei, Paul.«
Er nickte. Ja, es waren zwei.
Auch sie hatte sich erhoben. Als sie sich neben ihn stellte, hatte sie flüchtig ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Nun fiel diese Hand herab.
»Wo ist das passiert?« flüsterte sie.
Er hatte sich die Frage in derselben Sekunde gestellt. Nach der Form der Leitwerke mußte es sich bei einer der Maschinen um einen Airbus gehandelt haben. Von der anderen existierten nur noch Fetzen. Auf dem grotesk verschobenen Leitwerk des Airbusses hatten Flammen und Hitze den Anstrich zerstört, doch am Rumpfende war er erhalten geblieben. Das schmutzige Weiß war deutlich erkennbar und auch drei dunkelblaue Buchstaben, die darauf gemalt waren: D O R.
Nur eine Luftlinie hatte diese Endsilbe aufzuweisen. Eine deutsche Luftlinie …
Condor.
Während sein Gehirn dies aufnahm, glaubte er auch die Flugplatzsilhouette zu erkennen, die den Hintergrund des Dramas aus qualmenden Trümmern, zuckenden Alarmlichtern und hin und her rennenden Menschen bildete. Der Hangar? Die Baumreihe. Weiter hinten die Ebene mit ihren Windmühlenstümpfen und Wassertürmen.
Vor drei Wochen war er doch noch dort gewesen? Mein Gott!
Es waren drei Erkenntnisse, die Paul Brückner in dieser Sekunde trafen. Sie trafen ihn mit der alles ausschließenden Macht von drei Glockenschlägen.
Erstens: Das Unglück ereignete sich in Palma de Mallorca. Auf dem Flugplatz Son San Juán. Zweitens: Die eine Maschine war zweifellos ein Condor-Touristen-Airbus. Und drittens: Anja!
Anja ist mit der Condor nach Mallorca geflogen.
Sie hat für heute den Rückflug nach Frankfurt gebucht!
Kein Gedanke, keine Reaktion, nichts war in Paul als dieses vom Herzschlag angetriebene Gefühl ohnmächtigen Fließens. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er zitterte.
»Komm, Paul. Setz dich.«
Er gehorchte wie ein Kind. Er hielt den Kopf schief und die Augen weit offen. Er hörte die Ansage des Sprechers: »… ohne Zweifel handelt es sich dabei um die größte Katastrophe der Luftfahrt in diesem Jahr. Nach den bisherigen Feststellungen sind ihr 261 Menschenleben zum Opfer gefallen. Trotz des Gewittersturms, der zur Unfallzeit auf Mallorca, dem größten europäischen Ferienzentrum, herrschte, kann die Katastrophe nicht allein auf die Wetterverhältnisse zurückgeführt werden, sondern ist vermutlich auch durch menschliches Versagen der Flugzeug- und Tower-Besatzungen bedingt … Ladies and Gentlemen, dies war Jack Lester Wilson mit seinem Bericht von dem Flugzeugunglück auf Palma de Mallorca, Spanien …«
Auf Palma de Mallorca. Spanien!
Paul würde sich nie über die folgenden Minuten klar werden. Nur, daß ihn alle anstarrten, daran erinnerte er sich später. Und daß Elena ihn zu einem Stuhl geleitete und die Kellnerin ihm ein Glas Whisky gebracht hatte.
Als er wieder atmen und denken konnte, sagte er: »Ich muß telefonieren – sofort!«
Im ›Birdsbone‹ gab es zwar ein Telefon, einen vergammelten kleinen Kasten an der Wand, dessen Ärmlichkeit irgend jemand mit ein paar Strichen grüner Ölfarbe aufwerten wollte. Die Farbe hatte dem Ding nichts genützt. Außerdem war es nur ein ›Innerstate‹-Anschluß.
»Komm!« sagte Brückner.
Sie nickte. »Ich werde fahren.«
Sie zahlte, setzte sich hinters Steuer, und er fühlte sich noch immer wie von dieser Welt abgeschaltet. Anja … In ihm war nur eine einzige Frage: Wie konnte es geschehen? – Nein, es war mehr als eine Frage: Es war wilde, zornige, verzweifelte Auflehnung. Wer hat versagt? Die Piloten? Der Tower? Wer, verdammt noch mal, war der Versager, der diesen Wahnsinn heraufbeschworen hat?
Anja!
Er biß sich die Zunge blutig, als er ihren Namen dachte.
Wieder der Highway 290. Und die Wüste, die große amerikanische Wüste. Es gab dichteren Verkehr, als am Vortag. Elena überholte, wo sie konnte.
An der Tankstelle hatte sie nochmals einen kurzen Blick auf die Karte geworfen. Fünfhundert Meilen bis Houston. Das war bis zum Abend zu schaffen.
Bei einer der großen Servicestationen an der Ortsumfahrung von San Antonio bat Brückner sie, anzuhalten. Er verschwand in einer öffentlichen Telefonzelle. Elena sah, wie er dort gestikulierte. Kurz zuvor hatte sie ihn gefragt, ob es sich bei der Toten, von der er gesprochen hatte, um seine
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