mayday mayday ... eastern wings 610
Händen ins Haar, als wolle er es herauszerren, stand dann wortlos auf und ging zu dem Telefon, das in der Ecke auf einem Bord stand. Er hob ab und sagte: »Kaffee! Kaffee und Mineralwasser!«
Brückner schloß die Augen.
Déjà-vu! dachte Brückner. Wann hast du die gleiche Szene erlebt? Dreißig Stunden zuvor. Auf einem Hotelbalkon über dem Strand von Arenal. Nur, daß Faber stärker angeschlagen war als dieser Peter Bernier, der gerade seine Frau verloren hatte.
»Und die Autopiloten sind ausgefallen? Beide? Ja, wann denn, verdammt noch mal?«
»Die Maschine war bereits über der Piste. Die Höhe betrug zwanzig Fuß. Wir haben die exakten Angaben aus dem Flugschreiber.«
»Ja, und?«
»Was heißt ›ja und‹?«
»Was heißt: die Autopiloten sind ausgefallen?«
»Was das halt heißt in einer solchen Situation. Null Sicht. Scherwinde. Und eine solche Böe verschob die Maschine gut dreißig Meter nach Backbord.«
»Das ist doch nicht möglich.«
»Oh doch, wenn der Computer nicht mitspielt.«
»Ausgerechnet in diesem Augenblick?« Peter Bernier schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte er den Blick eines nüchternen Mannes. »O Scheiße – mein Gott!«
»Ja, o Scheiße und mein Gott! Du weißt ja, wie das ist, wenn ein Jet aufsetzt. Er hat die Nase leicht nach oben, genau um drei Grad. Und das bedeutet, daß der Pilot auf seinem Sitz ganz nach vorne rutscht, um nach unten auf die Piste sehen zu können.«
»Aber er muß doch trotzdem gemerkt haben, daß …«
»Sicher. Doch wenn eine Böe zuschlägt, wenn dich ein Scherwind rausträgt, läuft alles in Sekunden ab. Der Copilot …«
»Gilbert Tassis, nicht wahr?«
»Ja, Tassis.«
»Ich kannte ihn«, sagte Bernier. »Vielleicht kein guter Pilot, noch zu unerfahren, aber ein netter Kerl. Oh, verdammt noch mal …«
»Auf dem Band der Black box kannst du noch seine Stimme hören: Die Autopiloten! Beide Off!«
»Die Autopiloten?« wiederholte Bernier. »Und dann knallt es … und zweihunderteinundsechzig Menschen, ein halbes Dorf, müssen krepieren. Mensch, wie ist das bloß möglich?«
»Genau das ist die Frage«, sagte Paul Brückner.
Manchmal wehten Fetzen von Rockmusik zu ihnen hoch, leise nun, nur die Bässe waren zu hören, doch auch sie verstummten, und es wurde so still, daß sie den Klang ihrer Absätze vernahmen.
In dieser Ecke des Niederdorfs, das tatsächlich wie eine Art Dorf von der Weltstadt Zürich umschlossen wurde, gab es kleine, bucklige alte Häuser. ›Sailergraben‹ hieß die Straße dort unten, an der sich die Kneipen aneinanderreihten. Hier stand über einem Torbogen ›Sailerei‹. Daneben war offensichtlich eine Schreinerei untergebracht. Die Fenster waren bereits dunkel. Ab und zu erkannte man das bläuliche Viereck eines Fernsehgerätes. Die Zürcher gingen früh ins Bett.
Bernier blieb unter einer der alten Straßenlaternen stehen, drückte beide Handflächen gegen eine Mauer und holte tief Luft. »So, jetzt geht's mir schon besser. Ein Spaziergang, das war genau das, was ich brauchte.«
Seine Brille funkelte. Das wirre Haar hatte er noch, ehe sie beinahe fluchtartig das Lokal verlassen hatten, mit Wasser an den Kopf gebürstet. Nun versuchte er ein Lächeln. Es schien ihm tatsächlich besser zu gehen.
»Na gut!« Brückner lehnte sich gegen ein Eisengeländer. »Dann fangen wir nochmals an.« Er holte die Schachtel mit den Zigaretten aus der Tasche. »Wie ist das, auch eine?«
»Ich werd' den Teufel tun. Ich hab' es mir seit zwei Jahren abgewöhnt.«
»Ich auch«, sagte Brückner, »vor vierzehn Jahren.« Und zündete sich die Zigarette an.
Er sog tief den Rauch in die Lungen, richtete den Blick hoch zu diesem bedeckten, diesigen, vom matten Abglanz der Stadt rötlich erhellten Himmel. »Du sagtest, es waren brandneue Geräte.«
»Ja. Wir haben sie über die Swissair bestellt, als wir den Falcon-Auftrag bekamen. Das war – laß mich nachdenken – ja, den Tag kann ich dir nicht genau sagen, irgendwann im Januar.«
»Der Einbau?«
»Richtig, der Einbau. Der Auftrag kam von Faber, dem technischen Direktor der Falcon-Air. Baumann hat mir noch das Fax gezeigt. Dann hat Max Enslin die Sache in der Hand gehabt. Er hat alles organisiert. Der war Stellvertreter von Baumann und sein Mann vor Ort. Aber Baumann war es, der mir sagte, ich solle diese Arbeit vorziehen, weil Stutz die Geschichte möglichst rasch erledigt haben wollte.«
»Der Pilot?«
»Ja, der Pilot. Wir kannten ihn alle auf der Werft. Ein
Weitere Kostenlose Bücher