mayday mayday ... eastern wings 610
sich auch der Eingang, über dem in einem freundlichen Bonbonrosa der Name des Lokals hing: › El Ranchero ‹.
Nach Ranchero sah hier nichts aus, höchstens Bruno vielleicht, der mit einem »Moment mal, Paul« sich noch einmal über die Tür beugte, das Handschuhfach öffnete und die ›.32er‹ herausholte. Er steckte sie sich am Rücken in den Gürtel. »Ist ja nur ein Spielzeug, aber klauen will ich sie mir auch nicht lassen.«
Brückner folgte ihm in einen großen, kühlen Raum. Er war leer – bis auf ein älteres Ehepaar, das sich am anderen Ende eine Fernsehserie anschaute. Der Boden bestand aus rotgefärbtem Zement. Die Tischplatten waren billiges Marmorimitat aus Plastik. Eine lange Glasvitrine zog sich an der Wand entlang. Darin befanden sich außer einigen Stücken Coca nichts als Bonbons, Doughnuts und Kaugummipäckchen. Sie setzten sich an eines der offenen Fenster am Eingang, von wo man den Le Mans im Blick behalten konnte.
»Verdammt noch mal, ich brauch' ein Bier.« Bruno klopfte mit dem Fingerknöchel ungeduldig auf die Tischplatte. Sehr laut war das nicht, doch aus der geöffneten Küchentür erschien sofort ein Mädchen. Sie war sehr jung, zierlich, hatte ein hübsches, herzförmiges Gesicht mit hochgekämmten schwarzen Haaren und trug zu den dünnen blauen Boxershorts ein grünes T-Shirt mit tiefem u-förmigem Ausschnitte. ›Don't kiss me‹ stand auf dem T-Shirt.
»Also Bier«, sagte Konietzka, »oder willst du einen Whisky?«
Paul schüttelte den Kopf.
Sie brachte die Gläser und lächelte ihnen zu.
»Sagen Sie, war Pablo Ochera heute hier?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber um diese Zeit taucht er doch meistens auf.«
»Pablo? Das kommt darauf an. So jeden zweiten, dritten Tag …«
»Aber er ist hier?«
»Das weiß ich nicht, Señor.«
»Er wohnt gleich drei Häuser weiter. In einem hübschen Garten übrigens«, erklärte Bruno. »Jede Menge Bougainvilleas. Er wohnt in so einer alten Villa aus den Zwanzigern, die er sich zu einem Spottpreis unter den Nagel gerissen hat. Ich glaub', sogar auf Leibrente. Da hat er wieder mal irgendeine alte Dame reingelegt.«
Bruno griff nach dem Bier und setzte es langsam, ganz langsam wieder ab.
Auch Brückner drehte den Kopf zum Eingang.
Sie hatten fast lautlos den Raum betreten. Die gummibeschichteten Strohsohlen ihrer Alpargatas erstickten jedes Geräusch. Sie trugen schwarze Jeans, schwarze Nietengürtel und dünne Nylonjacken. Die Köpfe waren von Gesichtstüchern verhüllt. Nur die dunklen Augen blieben sichtbar. Der einzige Unterschied: Einer war beinahe einen Kopf größer.
Der Größere blieb an der Tür stehen, griff in sein Hemd und zog ein Messer heraus. Die Klinge war schmal und an die fünfzehn Zentimeter lang. Er strich sich mit der Schneide über die Handballen, als wollte er die Schärfe prüfen, und ließ dabei Konietzka und Brückner nicht aus den Augen.
Brückner hatte sich halb erhoben.
Konietzka zog ihn auf den Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. Brückner dachte an die Pistole in Brunos Gürtel. Herrgott noch mal, warum unternahm er nichts? Das alte Ehepaar in der Ecke hatte sich steil aufgerichtet und saß starr. Beide, der Mann wie die Frau, hatten die Hände flach auf den Tisch gelegt. Die Frau trug eine hübsche erdbeerfarbene, am Hals gekräuselte, altmodische, europäische Bluse. Sie hatte die Augen fest zugepreßt, als könne sie sich damit von allem ausschließen, was geschah.
»Rosi«, sagte der Kleinere.
»Ich heiße nicht Rosi.«
»Für mich heißt du Rosi. Für mich heißen alle Rosi. Wie geht's denn so, Rosi …«
Mit wenigen, geschmeidigen Schritten war er hinter der Kasse. Nun hatte er einen Lederriemen in der Hand und warf ihn dem Mädchen um den Hals. Sie röchelte, machte eine Abwehrbewegung und wollte sich nach vorn beugen. Er riß ihr den Kopf zurück. Wieder erhob sich Brückner, und nochmals zog ihn Bruno auf seinen Stuhl. »Laß das«, zischte er.
Vielleicht war es zwecklos, aber verdammt noch mal. Der Typ an der Tür hatte aufgehört, mit seinem Messer herumzuspielen. Er hielt es jetzt in Kämpferstellung in der Hand.
»Laß mal sehen, Rosi …«
Das Mädchen schluckte. Ihre Augen waren verdreht. Sie rührte sich nicht mehr. Der Junge in der blauen Nylonjacke ließ mit der linken Hand die Kasse aufspringen, griff hinein, stopfte Geld in die Tasche, blickte kurz und abwägend zu den beiden Alten in der Ecke, schüttelte den Kopf, dann waren sie so rasch und so lautlos verschwunden,
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