mayday mayday ... eastern wings 610
›Falschteile‹! Soll ich Ihnen sagen, warum? – Weil die Medien es hochkochen. Eine Art Hysterie ist ausgebrochen. Wie sollen wir da auf jeden Verdacht und auf jeden Hinweis sofort reagieren? Das ist unmöglich. Was wir brauchen, ist schon handfesteres Material. Der Verdacht der Einschleusung gefälschter Autopiloten in ein Schweizer Maintenance-Lager, um Originalteile zu ersetzen, die nach Libyen gegangen sind – also entschuldigen Sie …«
Brückner hatte sich höflich verabschiedet. Hier war nichts zu holen.
Was jetzt? Die Bronzezeiger der Chesterton-Stiluhr über der Bar standen auf elf Uhr zehn. Wilkens würde noch an seinem Schreibtisch hocken.
Er winkte dem Kellner, zahlte und ließ sich in der Zentrale mit der VC in Frankfurt verbinden.
»Was machst du, Alter?«
»Ich sitze in der Hotelbar und denke nach. Das heißt, ich saß in der Hotelbar.«
»Kein Fehler, wenn du mal nachdenkst. Übrigens, ich hab' mit Rebner gesprochen und ihn zu einer Art Stillhalteabkommen bewegt. Er will sich dafür einsetzen, daß man dir eine Narrenfrist gibt.«
»Was heißt hier Narrenfrist?«
»So nennt er das. Und die Deadline sei in zwei Wochen.«
»Okay, schön. Wenn du wüßtest, wie weit Rebner von mir weg ist. Lichtjahre!«
Wilkens lachte leise.
»Paß auf, Dieter, wir haben doch in Miami so eine Art Schwesterorganisation, einen amerikanischen Pilotenverein. Ich brauch' hier einfach Hilfe. Daß die Stadt verrückt ist, wußte ich schon immer. Aber jetzt geht's mir erst richtig auf.«
»USALPA«, kam es prompt zurück.
»Und wo?«
»Ralston Building.«
»Sehr gut.«
»Was willst du von denen?«
»Tips. Nichts als logistische Hilfe.«
Eine kurze Pause entstand. Dann hörte er Wilkens leises Stöhnen. »Mensch, nein, laß für den Moment die Jungs in Frieden. Wenn du was brauchst, kannst du dich noch immer an sie wenden. Ich weiß was Besseres: Geh erst mal zu Ted Turnbull.«
»Und wer ist das?«
»Turnbull? Ein pensionierter PanAm-Pilot. Aber was ›Bogus-Parts‹ angeht, der Fachmann! Er wird auch von den Gesellschaften herangezogen, wenn's irgendwo brenzlig wird. Den Convair-Fall zum Beispiel, den hat er durchgecheckt. Seine Artikel sind vom Aviation Weekly bis zum letzten Pilotenblättchen in Neuseeland abgedruckt worden. Eine Koryphäe. Ich kenne ihn nur vom Namen, aber der Mann muß toll sein.«
»Und hast du die Adresse?«
»Die lass' ich dir raussuchen. Ich schick' dir ein Fax. Darauf steht, daß du unser Mann bist und daß wir Turnbull nicht nur bitten, dir zu helfen, sondern ihm, falls er das verlangt, auch ein Honorar zahlen. Und dann kriegst du gleich auch noch die Adresse mit. In Ordnung?«
»Und ob! Schick das Fax so schnell wie möglich los. Ich hab' noch 'ne Menge zu arbeiten heute.«
»Okay, mach' ich. Verlaß dich drauf.«
24. September , Key Biscayne , Ortszeit: 16 Uhr 30
»Theodor James Turnbull, Key Biscayne, Little Marina 123.« Als er die Adresse auf dem Fax las, mußte er wieder die Stadtkarte zu Rate ziehen. – Hier, Key Biscayne war die Insel, die Bruno Konietzka täglich vor der Nase hatte. Sie lag Coco's Grove gegenüber. Nur, er war nie in Key Biscayne gewesen.
Das Taxi brachte ihn über den Damm des Rickenbacker Causeways, und er hatte endlich das Meer vor Augen. Die Strände waren gerammelt voll, jede Menge Hummerrot und Floridabraun. Draußen sprenkelten die bunten Tupfer der Windsurfer das Blau und donnerten die unvermeidlichen Rennboote.
Wieder eine Brücke. Nun wurde es schon gemütlicher. Die Insel wirkte ziemlich grün. Der Wahnsinn der Bauspekulation Miamis hatte noch immer große Grundstücksflächen verschont, sicher die Filetstücke, die bebaut werden würden, wenn die Kokspreise wieder stiegen. Das taten sie im Moment nicht, hatte Bruno erzählt. Miami ertrank im ›Schnee‹. Ein Dealer unterbot den andern. Vielleicht kam Don Johnson bald zurück und startete eine neue Miami-Vice-Serie …
Sie fuhren durch eine breite, von mächtigen Pfefferbäumen gesäumte Allee, an kleinen Gemüsehändlern vorbei und an netten Rentnern, die aus irgendwelchen sympathischen, babyblauen oder himbeerrosa gestrichenen Drugstores herauskamen und riesige Einkaufstüten zu ihren Cabrios trugen. Dann ging's nach rechts: weiße Mauern, hübsche, etwas altmodische Häuser hinter weißen, vom ewigen Wind, der ewigen Sonne und der ewigen Feuchtigkeit angefressenen Mauern. Und wieder breitete sich vor ihm das breite ultramarinblaue Band des Meeres mit seinen Glitzersternen
Weitere Kostenlose Bücher