mayday mayday ... eastern wings 610
sie hatte den Preis so hoch angesetzt, weil sie eigentlich mit sich handeln lassen wollte. Der Radiowecker, ihre beiden Tennisschläger, sogar Antonios alte Bally-Slipper – alles verkauft! Einmal kommt das Glück in Serie, dachte sie, nicht wie sonst das Pech.
In genau einer Stunde und vierzig Minuten war Maria Rosario Perez auf diese Weise um zweihundertvierzig Dollar reicher geworden. Und obendrein hatte ihr noch so ein schräger Vogel etwas von einer Filmproduktion und der Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb vorgefaselt. Sie hatte seine Visitenkarten sofort zerrissen. Man wußte doch, welche Sorte von Film das Dreckschwein meinte! Aber zweihundertvierzig Dollar! Sechshundert hatte sie bereits gespart. Und wie Maria die Lage einschätzte, würde dieses Miststück von Lidell trotz ihrer vorzeitigen Kündigung das Gehalt am Ende doch rausrücken. Würde? Mußte! Wenn er es anders haben wollte, dann war das sein Bier. Vielleicht mußte sie ihm das nur noch klarmachen …
Maria bog nach der Ampel rechts ab. Und da stand es schon, schimmerte in großen Aluminiumbuchstaben: Lidell Aircraft Corporation. Das Aluminium wirkte ein bißchen matt heute. Vor seinem Wärterhäuschen an der Schranke lümmelte Walt, der Wachmann der Corporation herum.
Vor dem Gebäude gab es eine Art Platz. Und in der Mitte eine ovale, von Bordsteinen umringte Verkehrsinsel. Eine Gruppe verkümmerter, armseliger Tamarisken wuchs darauf. Und genau dort, hinter den Tamarisken, schräg gegenüber der Lidell Aircraft Corporation parkte ein blauer VW Pick-up.
Maria Rosario hatte ihn nur aus den Augenwinkeln zur Kenntnis genommen, denn in diesem Augenblick schepperte es. Die Heckstoßstange. Das auch noch! Die durchgerostete Halterung schien endgültig den Geist aufgegeben zu haben. Immer noch besser hier als auf dem Highway. Nur, dieser elende Krach!
Sie stoppte und stieg aus.
Auch Walt schien wach geworden zu sein. Bloß daß er sich keinen verfluchten Zentimeter bewegte. Konnte er auch nicht, denn Lidell hatte ihm strikt verboten, das Firmenareal zu verlassen.
Maria schob ihr T-Shirt in die Shorts und bückte sich, um den Schaden zu betrachten. Was sie brauchte, war ein Stück Draht.
Sie blickte sich suchend um. Der Pick-up? Ein Typ saß darin. Er hatte die Scheibe herabgelassen. Das Gesicht lag im Schatten, so daß sie es nicht erkennen konnte. Nun öffnete er die Tür und stieg aus.
»Haben Sie vielleicht ein Stück Draht, Mister? Eine Schnur tut's auch.«
»Mal sehen …«
Maria Rosario ließ sich von Männern selten beeindrucken. Ein Reinfall reichte. Und der Typ hier. Vielleicht so alt wie Dad: blaue, aufmerksame Augen, stahlgraue, kurzgeschnittene Haare und ein verdammt nettes Lächeln. Er trug Khakizeug am Leib. In Fat-City, einer Stadt, in der selbst die Achtzigjährigen rumliefen wie die Kakadus, wirkte er darin ein bißchen fremd.
»Hier!« Er tauchte hinter einer der Tamarisken auf. »Das habe ich gerade am Boden gefunden. Vielleicht hat das Ding irgendein Maurer vergessen. Solche Schnüre werden zum Geraderichten von Backsteinen benutzt. Aber damit kommen wir schon mal weiter.«
Mit wenigen, geschickten Bewegungen befestigte er die Stoßstange an dem Halterungsstumpf. »Das hält bis nach Hause.«
»Nach Hause?« Sie lächelte. »Jetzt geht's erst mal dort drüben los. Jetzt muß ich ins Büro.«
Er war ihrem Blick gefolgt und nickte.
»Vielen Dank«, sagte sie und hob die Hand.
»Keine Ursache.«
Sie winkte ihm noch einmal zu. Sein Gesicht war sehr nachdenklich geworden.
Maria stieg wieder in den Wagen, fuhr durch die Schranke und parkte auf dem Personalparkplatz. Dann ging sie zum Eingang und drückte die Türsicherung. Bis vor drei Monaten hatte eine Plastikkarte genügt, doch Lidell beschloß, daß es nur der Wächter im Wachhäuschen sein durfte, der durch einen Knopfdruck den Weg ins Gebäude freigab.
Sie ging hinauf in den ersten Stock, betrat das leere Hauptbüro, verstaute Milch, Margarine, Hackfleisch und Eiscreme, die für das Abendessen der Zwillinge bestimmt waren, im Büroeisschrank und holte sich am Automaten eine Cola.
Lidell war nach Toronto geflogen. Für den Nachmittag wurde er zurückerwartet. Die anderen waren noch nicht da, und bei Gott, sie war froh darum. Sie prüfte noch einmal in Gedanken die Geldsituation. Es würde reichen, weil es reichen mußte. Die erste Monatsmiete in Sioux City hatte sie bereits überwiesen. Wie es aussah, würde die Wohnung dort noch ein paar Tage leerstehen.
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