mayday mayday ... eastern wings 610
Na und? Mit den Kindern mußte sie nach ihrer Ankunft ohnehin zu Dad ziehen. Und wenn man von den Problemen absah, die das Geschrei der Zwillinge für Dads Cellounterricht bedeuten konnte, würde er mit seinen Enkeln glücklich sein.
Den Colabecher in der Hand, stand sie am Fenster und blickte hinüber zu den Tamarisken.
Der blaue VW war verschwunden.
Zweitausend Dollar insgesamt, dachte Maria, darauf läuft's hinaus, zweitausend sind bestimmt kein Startkapital, um ein neues Leben zu beginnen. Na und? Angst kannte sie nicht, schon gar nicht Angst um einen Job. Sie würde jede Arbeit annehmen. Selbst als Putzfrau würde sie gehen, um Miami hinter sich zu bringen. Von Dad war keine Hilfe zu erwarten. Die paar Dollar, die er als Cellolehrer durch seine Tätigkeit am Konservatorium von Sioux City verdiente, brauchte er selber. Außerdem hatte er ohnehin keine Ahnung, was Geld bedeutete, hatte er nie gehabt. Auch das kein Problem. Er war trotzdem glücklich und sie, sie sprach vier Sprachen und hatte sich noch immer in ihrem Leben durchgebissen. Angst – was war das? Maria Rosario wußte es nicht.
»Hey, Maria? Was ist? Träumst du?«
Marie Lou. Unter den drei Mädchen des Sekretariats war Marie Lou die einzige, mit der sie eine Freundschaft aufgebaut hatte. Marie Lous alles umfassende, ewig lächelnde Sahne-Mütterlichkeit war wie Medizin.
»Das Träumen hab' ich hinter mir. Rat mal, wieviel Geld ich heute auf dem Flohmarkt gemacht habe.« – Sie sagte es.
»Gibt's ja nicht!« staunte Marie Lou.
»Doch, gibt's. Und damit hab' ich mein Kapital endgültig beisammen.«
Marie Lou sah sie nachdenklich an. »Mein Bruder kommt um sechs Uhr mit dem Wagen zu dir. Er hat ihn von einem Freund bekommen, der sowieso eine Menge Krempel rauf nach Omaha schaffen muß. Nach Westpoint. Und das liegt ja gleich neben Sioux City. Viele Möbel hast du ja nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur ein paar kleine Sachen, einen alten Sessel und eine Kommode, an der ich besonders hänge.«
»Und das Bett?«
»Das Bett? Das lasse ich Antonio.«
Wieder dieser dunkle, lange, faszinierte Blick. »Mensch, ich kann's noch immer nicht fassen. Du willst tatsächlich weg?«
»Kennst mich doch, Marie Lou. Wenn ich mir was vornehme, dann tu ich's auch.«
»Und alles wegen einem Typ?«
»Es ist nicht nur er, glaube mir. Ich habe mir das alles überlegt. Nächtelang konnte ich nicht schlafen. Und weißt du, auf was ich gekommen bin? Ein Mann, der zu einem schwulen Freund zieht, das kann anderen Frauen auch passieren. Vielen. Aber der Laden hier? Was Lidell glaubt, sich leisten zu können. Diese ganzen üblen Touren, die andere Leute den Kopf kosten können – und dazu noch einen Mann, der da mitspielt, das ist wirklich zuviel! Ganz Miami ist mir zuviel, Marie Lou. Das ist es.«
»Und was sagt dein Anwalt?«
»Interessiert mich nicht.«
»Du gefällst mir vielleicht! Bei dem Job, den Antonio hier hat, bei all seinen linken Geschäften verdient er doch, was er will. Außerdem hast du zwei Kinder. Und da willst du auf Unterhalt verzichten?«
»Man kann es auch anders nennen, Marie Lou. Ich verzichte nicht, ich streiche einfach ein Kapitel aus meinem Leben. Das tue ich für meine Gesundheit. Und die Gesundheit meiner Kinder.«
Sie warf den Coca-Cola-Becher in den Papierkorb unter ihrem Schreibtisch und blätterte in den Materiallisten, die sie in den Computer eingeben mußte. »Und außerdem, vergiß nicht: so ein armer Hund von Schwuler braucht viel Geld. Nicht nur für sich, er muß schließlich auch noch seine Jungs finanzieren.«
»So ein armer Hund?« Marie Lou schüttelte fassungslos den Kopf.
»Ist er auch. Im Grunde, weißt du, im Grunde ist Antonio nicht mal ein schlechter Kerl. Und ob er für seine Veranlagung was kann, da streiten sich selbst die Wissenschaftler. So was kann vererbt sein, hab' ich irgendwo gelesen. Aber vererbt oder erworben – mich interessiert das alles längst nicht mehr.«
»Und die Kinder?«
»Was – die Kinder?«
»Er ist schließlich auch Tonis und Conchis Vater.«
»Damit muß er selbst zurechtkommen«, sagte Maria Rosario, »womit wir das Thema nun endgültig abgeschlossen hätten, ja?«
Sie tippte noch immer an ihren Bestandslisten, als sie irgend jemand sagen hörte: »Er kommt.«
Die Tür ging auf: der Chef. Und wie immer mit diesem verklemmten, dünnen Grinsen im Gesicht.
»Maria, wie ist das? Was machen die Listen?«
»Sind gleich fertig, Mr. Lidell.«
»Gleich?«
»Gleich.« Sie sah
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