Mayday
die Maschine durchsacken, über eine Tragfläche abrutschen oder ins Trudeln geraten. »Halt das Steuer fest, Sharon! Halt das Steuer fest!«
Sie bemühte sich, das Steuerhorn festzuhalten, aber es vibrierte jetzt so stark, daß sie es nicht richtig in den Griff bekam.
Inzwischen war es Berry gelungen, über die Lehne nach vorn zu klettern. Dann traf der erste starke Aufwind die Straton wie ein Faustschlag. Das große Verkehrsflugzeug wurde wie ein Spielzeug hochgehoben, um im nächsten Augenblick fast senkrecht durchzusacken. Berry schwebte plötzlich über dem Pilotensitz, stieß fast gegen die Decke und krachte zwischen den Sitzen zu Boden. Er blieb benommen und desorientiert liegen, wußte nicht, wo oben und unten war, und bemühte sich vergeblich, auf die Beine zu kommen. Er sah Linda Farleys Gesicht über ihm und hörte, daß sie seinen Namen kreischte.
Sharon Crandall umklammerte das Steuerhorn, machte seine Bewegungen zunächst noch mit und leistete dann immer mehr Widerstand, um die Ausschläge zu verringern. Sie konzentrierte sich auf das größte Bordinstrument vor ihr, das jeder kannte, der schon einmal auf dem Kopilotensitz gesessen hatte: den Wendehorizont. Das Gerät zeigte an, daß die Straton im Vergleich zum Horizont keineswegs waagrecht in der Luft lag. Aber in den Wolken fehlte ihr jegliches Gefühl dafür, ob der Anstellwinkel groß oder klein war und ob eine der Tragflächen hing. Sharon wußte nur, daß sie abstürzen würden. Wenn John Berry nicht am Boden gelegen hätte, hätten sie sich sogar im Rückenflug befinden können, so groß war Crandalls Desorientierung.
Sie hielt das vibrierende Steuerhorn fest, aber ihre Arme und Schultern taten bereits weh. Sie wußte, daß sie etwas tun mußte, bevor das Flugzeug abstürzte. Nach einem weiteren Blick auf den Wendehorizont kam sie zu dem Schluß, die Maschine fliege zu steil angestellt und mit hängender linker Tragfläche, obwohl das Gegenteil zutreffen konnte, falls sie die Anzeige falsch deutete. Crandall drückte das Steuerhorn mit aller Kraft nach vorn und drehte es gleichzeitig nach rechts.
Im ersten Augenblick fürchtete sie, falsch geraten zu haben, weil der künstliche Horizont sich noch weiter in die falsche Richtung bewegte. Aber dann kam die Horizontlinie rasch zurück. Die Vibrationen hörten auf, und das Flugzeug wurde nur noch durch Turbulenzen erschüttert. Sharon umklammerte das Steuerhorn krampfhaft mit beiden Händen.
Berry rappelte sich auf und spürte, daß die Maschine viel ruhiger in der Luft lag. Er sah rasch zu Linda hinüber. Sie war kreidebleich und würgte vor Angst. Berry kletterte rasch in den Pilotensitz, schnallte sich an und griff nach dem Steuerhorn. Es schien leicht zu zittern – bis er merkte, daß in Wirklichkeit seine Hände zitterten. Berry holte mehrmals tief Luft, bis er wieder sprechen konnte. »Sharon …, Sharon …«, sagte er heiser. Aber dann fehlten ihm die Worte. Crandall ließ das Steuer los, lehnte sich zurück und versuchte, sich auf die bevorstehende Notwasserung vorzubereiten. Alle möglichen Verhaltensmaßregeln gingen ihr durch den Kopf, aber sie wußte, daß sie keine Zeit haben würde, sie auch wirklich anzuwenden. Sie streckte die linke Hand nach Berrys Arm aus und drehte sich dann nach Linda um.
Die Kleine starrte sie an. »Fallen wir ins Meer?«
»Ja. Halt dich gut fest.«
Berry spürte die vertrauten Ruderkräfte und erkannte, daß dies sein erster Versuch war, die riesige Straton selbst zu fliegen. Der Warnton wurde leiser, und die Lichter brannten schwächer, als die Batteriekapazität des todgeweihten Flugzeugs sich erschöpfte. Im Cockpit wurde es ruhiger, weil sie sich jetzt unterhalb der eigentlichen Gewitterzone befanden. Aus dem Salon hörte Berry das Jammern der Verletzten. Er nahm eine Hand vom Steuer und stellte die Scheibenwischer an. Durch Regenschleier und Wolkenfetzen glaubte er, hin und wieder das aufgewühlte Meer zu sehen. Sein Herz klopfte wie rasend. Er zwang sich zu einem Blick auf den Höhenmesser. »4000 Fuß«, sagte er laut. Sie sanken mit etwa 12 Metern in der Sekunde. »In zwei Minuten sind wir unten. Haltet euch fest! Sharon … die Schwimmwesten …«
»In dem orangeroten Beutel an der Rückwand.«
Er drehte sich um, sah den grellroten Beutel an der Wand und erkannte den kleinen Notausgang neben dem Platz des Flugingenieurs. »Sobald wir im Wasser sind, holst du die Schwimmwesten. Ich öffne den Notausgang. Linda, du bleibst sitzen, bis wir
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