Mayday
eingegangene Nachricht:
SOS
Sonst stand dort nichts. Keine Identitätsnummer, keine Anschrift. Brewster war verwirrt und zugleich verärgert. Was sollte das sein? Ein Witz? Ein dummer Streich? Kein Verkehrspilot hätte wirklich SOS gesendet. Dieses archaische Kürzel stammte noch aus der Zeit der Dampfschiffahrt. Wer konnte so etwas für bare Münze nehmen?
Brewster rollte die Wetterkarte zusammen und klemmte sie sich unter den linken Arm. Er starrte das Data-Link an. Nein, ein Verkehrspilot hätte für einen Notruf die dafür vorgesehenen Frequenzen eines seiner vier Funkgeräte benützt, statt einem elektronischen Spielzeug ein altmodisches »Save Our Souls« anzuvertrauen. Und selbst wenn das Unmögliche eingetreten wäre und alle vier Funkgeräte ausgefallen wären, würde ein Pilot, der seine Meldung über Data-Link absetzte, ein längeres Fernschreiben mit der vorgeschriebenen Identitätsnummer schicken. Hier lag entweder ein Versagen des Geräts vor – oder ein Pilot hatte sich einen Scherz erlaubt. Einen üblen Scherz, bei dem er darauf vertraute, daß nur jemand in der Nachrichtenzentrale davon erfahren würde.
Brewster merkte, daß der Scherz auf ihn abzielte. Das brachte ihn auf. Er riß das Fernschreiben aus dem Gerät und starrte es mit zusammengekniffenen Augen an:
SOS
Idioten! Geschähe ihnen ganz recht, wenn ich sie melden würde. Brewster wußte allerdings nicht, ob sich feststellen ließ, von welcher Maschine dieser angebliche Notruf stammte. Jedenfalls war das ein dummer, verantwortungsloser Einfall, und der Pilot, der die Nachricht gesendet hatte, konnte sich auf einiges gefaßt machen, falls er erwischt wurde. Andererseits konnte das Gerät wieder einmal defekt sein. Warum sollte er sich weiter damit befassen? Falls er die Sache meldete, machte er sich bei den Besatzungen unbeliebt – und das konnte seine Beförderungschancen beeinträchtigen. Ferro hatte ihm eingebleut, die Piloten zu decken. Das würde sich früher oder später lohnen. Brewster war froh, daß Evans die Nachricht nicht gesehen hatte. Er knüllte das Fernschreiben zusammen, warf es in den Papierkorb und verließ den Raum.
Jack Ferro sah ihn aus der Nachrichtenzentrale kommen. »Jerry, kann ich die Temperaturen bald haben?«
Brewster nickte eifrig. »Klar, Mr. Ferro. Ich bin in ein paar Minuten fertig.« Er sah auf die Wanduhr. Drei vor zwölf. Sie würden beide zu spät zum Mittagessen kommen. Er entrollte die Wetterkarte auf seinem Schreibtisch, beschwerte die Ecken und machte sich daran, die gewünschten Temperaturen herauszuschreiben.
John Berry starrte die Wählscheibe des Data-Links an, mit der sich neue Codes einstellen ließen. Am besten änderte er den Code und schrieb eine neue Nachricht. Diesmal eine ausführliche Meldung. Er war sich darüber im klaren, daß sein impulsives SOS zu kurz, zu rätselhaft gewesen war. Berry sah sich nach einem Codeverzeichnis um, fand keines und erkannte, daß es vermutlich aus dem Cockpit gesogen worden war. Folglich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Frequenzen nacheinander durchzuprobieren, jeweils eine Nachricht zu senden und nach dem gleichen System weiterzumachen. Irgendwann würde das Gegenstück dieses Geräts die Meldung empfangen und mitschreiben. Sobald Berry alle Frequenzen durchprobiert hatte, würde er sie nacheinander einschalten, um empfangsbereit zu sein. Das war eine recht plumpe Methode, die ihm jedoch viel besser als untätige Warterei erschien. Der Drang, sich erneut zu melden, wurde fast übermächtig. »Ich überlege gerade, ob ich’s mit einem anderen Kanal versuchen soll. Was halten Sie davon?«
Sharon Crandall warf einen Blick auf den leeren Bildschirm. »Warten Sie noch ein paar Minuten. Ich kann mich erinnern, daß die Piloten manchmal zehn Minuten oder noch länger auf eine Antwort gewartet haben.«
»Warum?«
»Na ja, sie haben keine wichtigen Meldungen geschrieben.« Crandall zuckte mit den Schultern. »Sie sollte nur schriftlich in der Nachrichtenzentrale vorliegen.«
»Kennen Sie die Nachrichtenzentrale in San Francisco?«
»Ja, wir Stewardessen haben sie einmal besichtigt. Dort stehen Funkgeräte, das Data-Link, Bildschreiber für Wetterkarten und ein normaler Fernschreiber.«
»Hmmm, ziemlich viele Geräte. Und wo befindet sich diese Nachrichtenzentrale genau?«
»Sie schließt ans Dispatcherbüro an.«
»Hat dort ständig jemand Dienst?«
Crandall überlegte. »Nein. Dort riecht es ziemlich nach Chemikalien. Aber die Dispatcher
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