Mayday
ihr aus. Sharon hielt die Hände ihrer Freundin fest und ließ sie nicht an sich vorbei. Berry verließ rasch das Cockpit, griff nach Terris Arm und zog sie mit.
Er sah Linda Farley in der Nähe des Klaviers auf dem Teppich liegen und blieb in der Mitte des Salons stehen, ohne auf die Passagiere zu achten, die ihn umdrängten. »Linda!«
Sie gab keine Antwort.
John Berry spürte, daß eine eisige Hand nach seinem Herzen griff. Er ließ den Arm der Stewardess los, war mit wenigen Schritten neben der Kleinen und kniete an ihrer Seite nieder. »Linda!« wiederholte er und rüttelte sie an der Schulter.
Linda Farley schlug langsam die Augen auf.
Kopilot Daniel McVary, der in ihrer Nähe lag, öffnete ebenfalls die Augen. Aber er riß sie rasch und weit auf – wie ein Nachttier, das bei Sonnenuntergang erwacht. Er hob den Kopf.
Berry stützte die Kleine, als sie sich aufsetzte. Sie hatte aufgesprungene Lippen und Tränenspuren im Gesicht. »Jetzt dauert’s nicht mehr lange«, versprach er ihr.
Linda sah sich automatisch nach dem Mann um, auf den sie hätte aufpassen sollen. »Er ist wach!« kreischte sie.
Berry starrte in die blutunterlaufenen Augen des Kopiloten.
Daniel McVarys Kopf stieß gegen das Klavier, als er sich aufzusetzen versuchte. Der Mann grunzte vernehmlich und kroch dann auf Berry zu.
Berry zog Linda an sich und stand mit ihr auf.
McVary kroch weiter auf sie zu.
John Berry schob Linda hinter sich, bückte sich vorsichtig und half dem Kopiloten auf die Beine. Dann sah er ihm in die Augen. Dies war der Mann, auf den er vor einigen Stunden alle Hoffnungen gesetzt hatte. Aber das hatte er zu einem Zeitpunkt getan, als ihm noch nicht klargewesen war, was den Männern, Frauen und Kindern von Flug 52 zugestoßen war. Bevor er Verbindung mit San Francisco aufgenommen, bevor er etwas Selbstvertrauen gewonnen hatte. Jetzt erkannte er, daß dieser Mann, der mit blutunterlaufenen, zwinkernden Augen und zukkendem Gesicht vor ihm stand, ihm nicht mehr helfen konnte als alle anderen. Berry legte ihm die Hände auf die Schultern, drehte ihn widerstrebend und fast etwas schuldbewußt um und gab ihm einen leichten Stoß. McVary stolperte einige Schritte weit, stieß gegen das Klavier und blieb darüber liegen.
Berry sah zur Cockpittür hinüber. Terri O’Neil versuchte erneut, ins Cockpit zu gelangen. Sharon stand auf der Schwelle und wehrte ihre Freundin mit ausgestreckten Händen ab – zu sanft, dachte Berry. Ein Mann, der von unten heraufgekommen war, bewegte sich ebenfalls in Richtung Cockpit. Berry stellte fest, daß die übrigen Passagiere ziellos durch den Salon irrten, mit Möbelstücken kollidierten und miteinander zusammenstießen. Er fragte sich, welche Restintelligenz sie auf diese Weise in Bewegung hielt. Was suchten sie? Was dachten sie dabei?
Er zog Linda mit sich zur Wendeltreppe. Dort kniete er nieder und rief nach unten: »Stein! Harold! Hören Sie mich?«
Stein antwortete nicht. Die einzigen Geräusche waren das Heulen des Windes und die Urlaute der Passagiere. »Stein!
Barbara! Barbara Yoshiro! Hört ihr mich?«
Eine kleine Gruppe von Fluggästen kam die Wendeltreppe herauf. Berry wartete, bis die junge Frau an der Spitze, eine langhaarige Blondine, in Reichweite war. Dann legte er ihr eine Hand aufs Gesicht und stieß sie zurück. Sie stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und riß den Mann hinter sich mit.
Berry stand rasch auf und wischte seine nasse Handfläche an seiner Hose ab.
Linda Farley stieß einen Warnschrei aus.
Berry warf sich herum und sah, daß der Kopilot zum Sprung ansetzte. McVarys ausgestreckte Hände trafen seine Brust, so daß Berry rückwärtstorkelte und beinahe die Treppe hinuntergefallen wäre. Er rappelte sich wieder auf, bekam McVarys Arm zu fassen und ließ ihn seinerseits die Wendeltreppe hinabstolpern. Dann griff er nach Lindas Hand und bahnte ihr rasch einen Weg durch die Menge. An der Cockpittür schob er Terri O’Neil und zwei Männer beiseite, ließ Linda vorausgehen und nickte Sharon zu. »Los, ’rein mit dir!«
Er versuchte die Tür zu schließen, aber der aufgesprengte Riegel und verbogene Scharniere hinderten ihn daran. »Verdammt noch mal! Sie läßt sich nicht absperren.« Er drehte sich nach den beiden um.
Sharon Crandall hielt Linda schützend umarmt. Die Kleine schluchzte leise und drängte sich gegen sie. Sharon strich ihr über die Haare.
»Was kann mit Stein passiert sein … und mit Barbara?« fragte Crandall nach einer
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