McCreadys Doppelspiel
einzunehmen - hatte sie in dieses gesichtslose Bürogebäude an einer Seitenstraße der Sadowaja-Spasskaja, eines Abschnitts der Moskauer Ringstraße, an diesen Schreibtisch und zu dem Dossier geführt, das jetzt vor ihr lag.
Zwei Jahre Arbeit waren in diese Akte eingegangen; allerdings hatte sie sie zwischen ihre anderen Pflichten einschieben müssen, bis man ihr höheren Orts Glauben zu schenken begann. Zwei Jahre, in denen sie Spuren geprüft und wieder überprüft, um die Mitarbeit anderer Abteilungen gebettelt hatte, immer im Kampf gegen die
Vertuschungsmanöver jener Kerle in der Armee, die unentwegt füreinander Partei ergriffen. Zwei Jahre lang hatte sie winzige Informationssplitter zusammengefügt, bis sich ein Bild herauszuschälen begann.
Majorin Wanawskajas Aufgabe beziehungsweise Berufung bestand darin, auf die schiefe Bahn geratene oder subversive Elemente oder gelegentlich auch einen richtiggehenden Verräter innerhalb der Armee, Marine oder Luftwaffe aufzuspüren. Die Veruntreuung wertvoller Ausrüstungsgegenstände aus staatlichem Besitz war schon schlimm genug, ein Mangel an Tatkraft auf dem afghanischen Kriegsschauplatz war schlimmer, doch das Dossier auf ihrem Schreibtisch war etwas ganz anderes. Sie war überzeugt, daß irgend jemand in der Armee Geheimnisse verriet. Und der Betreffende war ein hochgestellter, ein verdammt ranghoher Offizier.
Auf dem ersten Blatt des vor ihr liegenden Dossiers stand eine Liste mit acht Namen. Fünf davon waren durchgestrichen. Hinter zweien stand ein Fragezeichen. Aber ihr Blick fiel immer wieder auf den achten Namen. Sie hob einen Telefonhörer ab und bat, man möge sie mit einem Major, dem Sekretär von General Schaljapin, Chef des Dritten Direktorats, verbinden.
»Ja, Majorin. Ein persönliches Gespräch? Mit niemand anderem? So. Das Problem ist, daß der Genosse General sich im Fernen Osten befindet. Nicht vor nächsten Dienstag. Also schön, wenn es sein muß, nächsten Dienstag.«
Majorin Wanawskaja legte den Hörer auf und zog die Stirn kraus. Vier Tage. Na ja, sie hatte zwei Jahre gewartet, da konnte sie noch weitere vier Tage zulegen.
»Ich denke, die Sache ist gelaufen«, sagte Bruno Morenz am folgenden Sonntagvormittag mit kindlicher Begeisterung zu Renate. »Ich habe den Kaufpreis beisammen und außerdem noch ein bißchen Geld für die Malerarbeiten und die Ausstattung. Es ist eine wunderbare, kleine Bar.«
Sie lagen in ihrem eigenen Schlafzimmer im Bett - es war eine Gunst, die sie ihm manchmal gewährte, weil ihm das >Arbeitsschlafzimmer< ebenso sehr verhaßt war wie ihr >Beruf<.
»Erzähl mir noch einmal davon«, gurrte sie. »Ich hör es zu gern.«
Er lächelte. Er hatte das Häuschen zwar erst ein einziges Mal gesehen, war ihm aber richtig verfallen. Es war, was er sich immer erträumt hatte, und auch genau dort, wo er es hatte haben wollen: am offenen Meer, wo die Brisen aus dem Norden dafür sorgten, daß die Luft immer frisch war. Im Winter war es natürlich kalt, aber es gab eine Zentralheizung, die nur noch repariert werden mußte.
»Also - es heißt >Laternenbar< und hat ein Kneipenschild mit einer alten Schiffslaterne. Es steht am Kai, direkt am Bremerhavener Hafenbecken. Von den Fenstern im ersten Stock aus hat man freien Blick bis zur Insel Mellum - wir könnten uns ein Segelboot zulegen, wenn das Geschäft gutgeht, und im Sommer hinsegeln.
In der Bar gibt es einen Tresen mit einer altmodischen Messingplatte - dahinter stehen wir später und bedienen die Gäste -, und oben ist eine hübsche, gemütliche Wohnung. Nicht so groß wie die hier, aber schnuckelig, sobald wir sie instandgesetzt haben. Ich habe den Kaufpreis akzeptiert und die Anzahlung geleistet. Ende September ist alles fertig. Dann kann ich dich aus alledem hier herausholen.«
Sie konnte sich kaum davon abhalten, laut herauszulachen.
»Liebling, ich kann es nicht erwarten. Es wird ein wunderbares Leben werden. Möchtest du es noch einmal versuchen? Vielleicht klappt es diesmal.«
Wäre Renate gutmütiger gewesen, dann wäre sie mit dem Mann, der ja schon in die Jahre gekommen war, glimpflicher umgesprungen, hätte sie ihm erklärt, daß sie nicht die Absicht habe, sich aus >alledem< herausholen, geschweige denn an einen öden Kai in Bremerhaven schleppen zu lassen. Aber es machte ihr Spaß, ihn in seinen Wahnideen zu wiegen, damit das Erwachen um so grausamer wurde.
Eine Stunde nach diesem Gespräch in Köln rauschte eine Jaguar- Limousine vom Motorway M 3
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