McCreadys Doppelspiel
Nähe stand ein Grenzpolizist mit einem riesigen Schäferhund. Hinter Fenstern schauten zwei Männer in Zivil her. Staatssicherheitsdienst.
»Viel Erfolg bei Ihrem Besuch in der Deutschen Demokratischen Republik«, sagte der ranghöchste der Grenzpolizisten. Er sah nicht so aus, als meinte er das ernst. In diesem Augenblick waren ein Schrei und mehrere Rufe von der Reihe der Fahrzeuge auf der anderen Seite der Betonwand, die die Fahrbahnen voneinander trennte, zu hören. Alle Leute verrenkten die Hälse, um etwas zu sehen. Morenz saß am Steuer. Voll Entsetzen starrte er hin.
An der Spitze der Kolonne auf der Gegenfahrbahn stand ein kleiner, blauer Kombi. Westdeutsches Kennzeichen. Zwei Polizisten zerrten ein junges Mädchen aus dem Kofferraum, wo sie es unter dem Boden in einem winzigen, für diesen Zweck gebauten Versteck entdeckt hatten. Sie schrie. Die Freundin des jungen Westdeutschen, der den Kombi fuhr. Er wurde herausgezerrt und in einen Kreis aus schußbereiten Maschinenpistolen und aggressiven Hunden gestoßen, die an ihren Leinen zerrten. Kreidebleich warf er die Hände hoch.
»Laßt die Finger von ihr, ihr Arschlöcher!« brüllte er. Jemand versetzte ihm einen Hieb in die Magengrube, und er brach zusammen.
»Los, weiter!« bellte der Grenzpolizist, der neben Morenz’ Wagen stand. Morenz nahm den Fuß von der Kupplung, und der BMW schoß nach vorne. Er umfuhr die Barrieren und hielt vor der Zweigstelle der Volksbank, um DM zum Kurs von 1:1 gegen wertlose Ostmark zu tauschen. Der Kassierer machte einen bedrückten Eindruck. Morenz’ Hände zitterten heftig. Als er wieder in seinem Wagen saß, blickte er in den Rückspiegel und sah, wie der junge Mann und das Mädchen, noch immer schreiend, in einen Betonschuppen gezerrt wurden.
Stark schwitzend fuhr er in nördlicher Richtung davon. Er wußte, daß in der DDR Alkohol am Steuer absolut verboten war, griff aber trotzdem nach seinem Flachmann und nahm einen kräftigen Schluck. Jetzt war ihm besser. Er hätte wissen sollen, daß seine Nerven total ruiniert waren. Er war ausgebrannt; nur die jahrelange Routine hielt ihn noch aufrecht. Und sein fester Entschluß, seinen Freund McCready nicht zu enttäuschen. So fuhr er in einem gleichmäßigen Tempo dahin. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Er schaute auf seine Uhr. Reichlich Zeit. Mittag. Das Treffen sollte um vier Uhr stattfinden. Zwei Stunden Fahrt bis zum Treffpunkt. Doch die Furcht, die nagende Furcht eines Agenten auf einer >schwarzen< Mission, ohne diplomatischen Schutz, dem zehn Jahre in einem Zwangsarbeitslager drohten, wenn er erwischt wurde, sie hatte begonnen, seinem Nervensystem zuzusetzen, das ohnedies schon in einem schlimmen Zustand war.
McCready hatte mit dem Glas verfolgt, wie Morenz in den Korridor zwischen den beiden Grenzübergängen einfuhr, ihn dann aber aus dem Blickfeld verloren. Den Zwischenfall mit dem Mädchen und dem jungen Mann konnte er nicht sehen. Der Hügel ließ nicht zu, daß er mehr sah als die Dächer auf der ostdeutschen Seite und die große Fahne mit dem Hammer und dem Zirkel im Ährenkranz, die darüber im Wind flatterte. Kurz vor zwölf erkannte er in der Ferne den schwarzen BMW, der in Richtung Thüringen davonfuhr.
»Er ist durch«, sagte er zu Johnson. »Jetzt bleibt uns nichts übrig, als abzuwarten.«
»Wollen Sie es Bonn oder London melden?« fragte Johnson.
McCready schüttelte den Kopf.
»Sie können nichts machen«, sagte er. »Im Moment kann überhaupt niemand etwas machen. Alles hängt an Poltergeist.«
Auf dem Rücksitz des Range Rover hatte Johnson etwas liegen, was wie ein Koffer aussah. Darin befand sich ein mobiles Funktelefon mit speziellen Funktionen. Über den Apparat konnte man mit dem GCHQ, dem Kommunikationszentrum der britischen Regierung in der Nähe von Cheltenham, dem Century House oder der Bonner SIS- Filiale sprechen. Der Hörer sah aus wie der eines gewöhnlichen mobilen Telefons, mit nummerierten Knöpfen zum Wählen. McCready hatte um das Gerät ersucht, damit er Verbindung zu seiner eigenen Basis halten und sie informieren konnte, sobald Poltergeist heil zurückkehrte.
In der Wohnung in Hahnwald waren die beiden Fingerabdruckspezialisten mit dem Geheimkämmerchen fertig geworden und fortgegangen. Sie hatten dreierlei Sorten von Fingerabdrücken gesichert.
»Gehören die zu den neunzehn, die Sie gestern gefunden haben?« fragte Schiller.
»Das weiß ich nicht«, sagte der eine. »Das muß ich mir erst im Labor ansehen.
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