McCreadys Doppelspiel
den Zeiss-Werken. Ich möchte bei ihnen Produkte für meine Firma kaufen.«
Der Polizist nickte.
»Bei uns in der DDR werden viele Qualitätsprodukte hergestellt«, sagte er. Das war ganz und gar unzutreffend. In
Ostdeutschland gab es nur eine einzige Fabrik, die auf westlichem Niveau produzierte, eben die Zeiss-Werke in Jena.
»Und was führt Sie hierher?«
»Ich wollte mir Weimar ansehen. das Goethe-Haus.«
»Da fahren Sie in der verkehrten Richtung. Weimar ist dort.«
Der Polizist deutete an Morenz vorbei in die Gegenrichtung. In diesem Augenblick rollte ein sowjetischer Jeep vorbei. Der Fahrer, die Feldmütze über die Augen herabgezogen, schaute zu Morenz hin, begegnete eine Sekunde lang dessen Blick, registrierte das geparkte Volkspolizeifahrzeug und setzte die Fahrt fort. Die Sache war mißglückt. Smolensk würde jetzt nicht herkommen.
»Ja, ich habe bei der Fahrt aus der Stadt eine falsche Abzweigung erwischt. Ich wollte gerade nach einer Möglichkeit zum Wenden suchen, als ich sah, daß mit dem Wasserstand was nicht stimmt.«
Die Vopos kontrollierten, daß er die Gegenrichtung einschlug und folgten ihm zurück nach Weimar. Am Ortseingang gaben sie Gas und fuhren davon. Morenz fuhr weiter nach Jena und nahm sich im Hotel Schwarzer Bär ein Zimmer.
Dr. Herrmann hatte einen Vertrauensmann beim BfV. Vor Jahren, während des Guillaume-Skandals - als ein Referent von Bundeskanzler Willy Brandt als DDR-Agent enttarnt worden war - hatten die beiden Männer sich kennengelernt und zusammengearbeitet. An diesem Abend um sechs Uhr rief Dr. Herrmann den BfV in Köln an und ließ sich weiterverbinden.
»Johann? Hier spricht Lothar Herrmann. Nein, bin ich nicht. Ich bin hier in Köln. Ach, nur routinemäßig. Ich dachte, es wäre schön, wenn ich Sie zum Abendessen einladen könnte. Ausgezeichnet. Hören Sie, ich bin hier im Dom-Hotel. Treffen wir uns doch in der Bar. Gegen acht? Ich freue mich.«
Johann Prinz legte den Hörer auf und überlegte, was Herrmann wohl nach Köln geführt haben könnte. Eine
»Truppeninspektion«? Vielleicht...
Um acht senkte Sam McCready auf dem Hügel über dem Saaletal sein Fernglas. Die einbrechende Dämmerung machte es unmöglich, den ostdeutschen Grenzübergang und die Straße dahinter noch einzusehen. Er war müde, ausgelaugt. Irgend etwas war dort drüben hinter den Minenfeldern und dem Zaun mit dem rasiermesserscharfen Draht schiefgelaufen. Vielleicht war es nichts Wichtiges, ein geplatzter Reifen, ein Verkehrsstau. Unwahrscheinlich. Vielleicht war sein Mann in diesem Augenblick in südlicher Richtung unterwegs, der Grenze entgegen. Vielleicht hatte Pankratin das erste Treffen verpaßt, vielleicht hatte er keinen Jeep bekommen, sich nicht absetzen können. Das Warten war immer das schlimmste, warten zu müssen und nicht zu wissen, was schiefgegangen war.
»Wir fahren hinunter zur Straße«, sagte er zu Johnson. »Hier kann ich sowieso nichts mehr sehen.«
Er postierte Johnson auf dem Parkplatz der Raststätte Frankenwald. Der Wagen stand in Richtung Norden, zur Grenze hin. Johnson würde die ganze Nacht hier sitzen und nach dem BMW Ausschau halten. McCready fand einen Lastwagenfahrer, der Richtung Süden unterwegs war, erklärte, daß er eine Motorpanne habe, und ließ sich zehn Kilometer weit mitnehmen. An der Ausfahrt Münchberg stieg er aus, marschierte die anderthalb Kilometer in den Ort und nahm im Braunschweiger Hof ein Zimmer. Er hatte sein mobiles Telefon in einer Einkaufstasche mitgenommen, für den Fall, daß Johnson ihn anrufen wollte. Er bestellte ein Taxi für sechs Uhr morgens.
Herrmann und Prinz saßen an einem Ecktisch und gaben ihre Bestellung auf. Bislang hatten sie nur sachte die Klingen gekreuzt. Wie geht’s so? Alles in Ordnung. Beim Krabbencocktail machte Herrmann einen kleinen Schritt nach vorne.
»Ich nehme an, Sie sind über die Callgirl-Affäre informiert. ?«
Prinz war überrascht. Wann hatte der BND davon erfahren? Er selbst hatte das Dossier erst um fünf Uhr zu sehen bekommen. Herrmann hatte ihn um sechs angerufen, und da war er bereits in Köln gewesen.
»Ja«, sagte er. »Ich habe die Meldung heute nachmittag auf den Schreibtisch bekommen.«
Jetzt war Herrmann überrascht. Warum wurde die Nachricht über einen Doppelmord in Köln an die Spionageabwehr weitergeleitet? Er hatte erwartet, Prinz die Sache erklären zu müssen, ehe er ihn um den Gefallen bat.
»Scheußliche Geschichte«, murmelte er, als das Steak kam.
»Und es kommt
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