McCreadys Doppelspiel
Funkklatsch hinter der Grenze abzuhören. Gute Reise, Mr. McCready. Grüßen Sie
mir London.«
Eine Woche später traf die Nachricht in Langley ein. General Pankratin war versetzt worden. Er würde künftig einen Komplex von militärischen Gefangenenlagern in Kasachstan befehligen.
Claudia Stuart erfuhr die Neuigkeit durch den Mann, den sie in der US-Botschaft in Moskau sitzen hatte. Sie sonnte sich noch immer in den Elogen, die von höherer Warte auf sie herabregneten, während die Analytiker die gesamte sowjetische Kriegsplanung studierten. Sie nahm die Sache mit ihrem sowjetischen General philosophisch. Gegenüber Chris Appleyard bemerkte sie:
»Er ist mit heiler Haut davongekommen und behält seinen Rang. Besser als in Jakutien im Gulag zu schuften. Und was uns betrifft, nun ja, es kommt billiger als eine Luxuswohnanlage in Santa Barbara.«
London, Century House
Die Anhörung ging am Vormittag des nächsten Tages weiter. Timothy Edwards blieb äußerlich die Höflichkeit in Person, hoffte aber insgeheim, die ganze Angelegenheit werde sich mit einem Minimum an Zeitaufwand erledigen lassen. Er hatte, wie die beiden Controller rechts und links von ihm, Wichtigeres zu tun.
»Danke, Denis, daß Sie uns die Ereignisse aus dem Jahr 85 ins Gedächtnis gerufen haben«, sagte er, »obwohl ich finde, man könnte sagen, vom geheimdienstlichen Standpunkt aus gehört dieses Jahr einer anderen, ja, einer abgeschlossenen Epoche an.«
Das wollte Denis Gaunt nicht gelten lassen. Er wußte, daß er das Recht hatte, nach Belieben Episoden aus der Karriere seines Abteilungsleiters Revue passieren zu lassen, um damit die Kommission vielleicht zu bewegen, dem Chef eine Abänderung seiner Entscheidung zu empfehlen. Es war ihm auch bewußt, daß kaum eine Chance bestand, daß Edwards eine solche Empfehlung aussprechen würde. Doch am Ende der Anhörung stand eine Abstimmung, und Gaunt wandte sich ganz gezielt an die beiden Controller, da sie die Mehrheit bildeten. Er stand auf, ging hinüber zu dem Beamten aus dem Archiv und bat ihn um ein anderes Dossier.
Sam McCready schwitzte, und er begann sich zu langweilen. Im Unterschied zu Gaunt wußte er, daß seine Chancen minimal waren. Er hatte die Anhörung verlangt, aber nur aus reinem Widerspruchsgeist. Er lehnte sich zurück und ließ seine Aufmerksamkeit abschweifen. Was Denis Gaunt auch erzählen mochte, nichts daran war ihm neu.
Dreißig lange Jahre hatte er in der kleinen Welt des Century House und des Geheimdienstes verbracht, beinahe sein gesamtes Arbeitsleben. Wenn ich jetzt vor die Tür gesetzt werde, fragte er sich, wohin gehe ich dann? Ja, er fragte sich sogar - und nicht zum erstenmal -, wie er überhaupt in diese seltsame, zwielichtige Welt geraten war. Er kam aus der Arbeiterschicht, und es war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, daß er es dereinst zu einem hochrangigen Beamten im SIS bringen werde.
Er war im Frühjahr 1939 als Sohn eines Milchmanns im Süden Londons zur Welt gekommen, im selben Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg ausbrach. Nur ganz vage, in ein paar Erinnerungsbildern, war ihm sein Vater noch gegenwärtig.
Nach der Kapitulation Frankreichs, 1940, war er als Baby zusammen mit seiner Mutter evakuiert worden, als die deutsche Luftwaffe mit ihren Bombenangriffen auf die britische Hauptstadt begann. Er erinnerte sich nicht mehr daran. Anscheinend - jedenfalls hatte seine Mutter es ihm später so erzählt - waren sie im Herbst 1940 in das kleine Reihenhaus in der armen, aber ordentlich gefegten Straße in Norbury zurückgekehrt, aber inzwischen war sein Vater eingezogen worden.
Es hatte ein Foto seiner Eltern vom Tag ihrer Hochzeit gegeben - daran erinnerte er sich ganz genau. Sie war in Weiß, hielt einen Strauß in den Händen, und der kräftige Mann neben ihr stand sehr steif und proper da, in seinem dunklen Anzug mit einer Nelke im Knopfloch des Revers. Es war auf dem Kaminsims gestanden, in einem silbernen Rahmen, und sie hatte es jeden Tag blankgeputzt. Später nahm ein anderes Foto seinen Platz am anderen Ende des Simses ein, die Aufnahme eines kräftigen, lächelnden Mannes in Uniform, der die Sergeant-Streifen am Ärmel trug.
Seine Mutter ging jeden Tag aus dem Haus und fuhr mit dem Bus nach Croydon, wo sie die Eingangsstufen und Dielen der begüterten Leute putzte, die dort wohnten. Sie wusch auch für andere Leute; er konnte sich noch schwach daran erinnern, daß die winzige Küche immer voller Dampf war, während sie die Nacht
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