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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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sagte Leon: »Er hat einen erstklassigen Verstand, deshalb kapiere ich einfach nicht, wieso er durch Blumenbeete kriecht.« Sie ging zum Sprungbrett, setzte sich und versuchte, einen möglichst entspannten Eindruck zu machen, doch ihre Stimme klang etwas gepreßt. »Er denkt daran, auch noch Medizin zu studieren. Mir wäre es wirklich lieber gewesen, du hättest ihn nicht eingeladen, Leon.«
»Und der alte Herr ist einverstanden?«
Sie zuckte die Achseln. »Hör mal, ich finde, du solltest jetzt zu ihm gehen und ihn wieder ausladen.«
Leon war ans flache Ende gegangen und schaute sie über die sanft wogende, ölig blaue Wasserfläche an.
»Meinst du das ernst?«
»Mir egal, wie du es anstellst. Erfinde eine Ausrede.«
»Ist was zwischen euch?«
»Nein, da ist nichts.«
»Wird er zu aufdringlich?«
»Ach Quatsch.«
Verärgert stand sie auf und ging hinüber zum kleinen Pavillon, einem nach vorn offenen, von drei kannelierten Säulen getragenen Bau. Sie lehnte sich an die mittlere Säule, rauchte und betrachtete ihren Bruder. Gerade erst hatten sie noch zusammengehalten, und schon lagen sie sich wieder in den Haaren – fürwahr, die Wiederkehr der Kindheit. Paul Marshall stand ziemlich genau in der Mitte zwischen ihnen und wandte, während sie sich unterhielten, den Kopf wie bei einem Tennisspiel vom einen zum anderen. Er wirkte neutral, vielleicht ein wenig neugierig, und schien den Streit der Geschwister nicht weiter beunruhigend zu finden. Das, dachte Cecilia, sprach immerhin für ihn.
Ihr Bruder sagte: »Meinst du, er kann nicht mit Messer und Gabel umgehen?«
»Hör auf, Leon! Du hattest überhaupt kein Recht, ihn einzuladen.« »Blödsinn!«
Das anschließende Schweigen wurde nur vom Brummen der Filterpumpe untermalt. Es gab nichts, was sie tun konnte, nichts, wozu sie Leon bewegen konnte, und plötzlich überkam sie die Einsicht, wie sinnlos der Streit war. Sie räkelte sich am warmen Stein, rauchte träge ihre Zigarette zu Ende und betrachtete das Bild, das sich ihr bot – die aus ihrem Blickwinkel verkürzte Chlorwasserbahn, der an einen Liegestuhl gelehnte schwarze Schlauch eines Traktorreifens, die beiden Männer in cremefarbenen, fast gleich hellen Anzügen und der blaugraue, vor dem grünen Bambus aufsteigende Rauch. Das Ganze sah wie gemeißelt aus, wie erstarrt, und wieder fühlte sie: All dies war bereits vor langer Zeit geschehen, und was auch kommen mochte, ob unbedeutend oder noch so kolossal, es war vorherbestimmt. Was die Zukunft brachte, sei es oberflächlich auch durchaus seltsam oder schockierend, konnte sie nicht überraschen, konnte bloß vertraut wirken und sie vielleicht zu den Worten veranlassen, die sie allerdings nur zu sich selbst sagen durfte: Ach ja, natürlich. Das. Ich hätte es wissen müssen.
Leichthin fragte sie: »Weißt du, was ich denke?«
»Nein, was denn?«
»Ich denke, wir sollten ins Haus gehen, und du solltest uns irgendeinen verrückten Drink mixen.«
Paul Marshall klatschte in die Hände, daß es zwischen den Säulen und der Rückwand des Pavillons widerhallte. »Es gibt da einen, den kann ich besonders gut«, rief er. »Mit zerstoßenem Eis, Rum und geschmolzener Schokolade.«
Dieser Vorschlag löste einen Blickwechsel zwischen Cecilia und ihrem Bruder aus, und damit war der Zwist beigelegt. Leon ging vor; Cecilia und Paul folgten ihm, und als sie am Bambustunnel anlangten, sagte sie: »Eigentlich hätte ich lieber was Bitteres. Oder auch einen sauren Drink.«
Marshall lächelte. Vor der Bresche Hieb er stehen und ließ ihr den Vortritt, als beträten sie einen Salon. Wahrend sie das Dikkicht durchquerten, spürte sie, wie er leicht mren Unterarm streifte.
Es konnte auch ein Blatt gewesen sein.
Fünf
    W as Briony schließlich veranlaßt hatte, die Proben abzubrechen, sollten weder Lola noch die Zwillinge erfahren. Im Augenblick ahnten sie noch nicht einmal, daß dem so war. Sie übten gerade die Krankenszene, in der die bettlägerige Arabella in ihrer Dachkammer zum ersten Mal den als Arzt verkleideten Fürsten empfängt; und bislang lief es ganz gut, jedenfalls verhunzten die Zwillinge ihren Text nicht schlimmer als zuvor. Lola hatte zwar keine Lust, sich auf den Boden zu legen und ihren Kaschmirpullover schmutzig zu machen, dafür aber sackte sie in einem Sessel zusammen, und dagegen wußte die Regisseurin schließlich auch nichts einzuwenden. Die Altere hatte sich ihre Haltung gnädiger Herablassung so zu eigen gemacht, daß sie sich über jede Kritik erhaben

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