McEwan Ian
Teilen der kanadischen Northern Territories nicht aus der Krankenpflege fortdenken können, dabei war sie eigentlich gar keine richtige Tante, das heißt, sie war nur die Tante des verstorbenen Vetters zweiten Grades von Mr. Tallis, doch hatte ihr kein Mensch, als sie in den Ruhestand ging, das Anrecht auf ein Zimmer im zweiten Stock streitig gemacht, wo sie während Cecilias früher Kindheit eine gutmütige bettlägerige Invalidin gewesen war, die dahinwelkte und kurz nach Cecilias zehntem Geburtstag klaglos verschied. Eine Woche später wurde Briony geboren.
Cecilia führte die Besucher in den Salon und durch die Terrassentür, vorbei an den Rosen, zum Swimmingpool, der hinter den Stallgebäuden lag, auf allen Seiten von einem hohen Bambusdickicht umgeben, das nur durch eine tunnelähnliche Bresche Einlaß bot. Sie duckten sich unter niedrig hängendem Bambusrohr hindurch und traten auf eine Terrasse mit gleißendweißen Fliesen, von denen die Hitze wie von einem Glutofen aufstieg. Tief im Schatten stand in sicherer Entfernung vom Beckenrand ein weißgestrichener Blechtisch, darauf ein Krug mit eisgekühltem Punsch, abgedeckt mit einem Gazetuch. Sobald Leon die Liegestühle aufgestellt hatte, setzten sie sich in einem Halbkreis mit Blick auf das Wasser. Marshall, der zwischen Leon und Cecilia saß, riß gleich das Gespräch an sich und hielt einen Monolog von zehn Minuten. Er bekannte, wie herrlich es sei, sich fern der Stadt in dieser Beschaulichkeit, dieser Ruhe aufhalten zu können, sei er doch neun Monate lang Tag für Tag in jeder wachen Minute ein Sklave seiner Vision gewesen und ständig zwischen Chefbüro, Sitzungssaal und Werkhalle hin und her geeilt. Ein großes Haus am Clapham Common habe er sich gekauft, doch bislang kaum Zeit gehabt, sich dort aufzuhalten. Die Markteinführung des RegenbogenAmo sei ein Triumph gewesen, allerdings erst nachdem diverse Vertriebskatastrophen abgewendet werden konnten; außerdem hatte die Anzeigenkampagne einige ältere Bischöfe gekränkt, weshalb eine neue Werbestrategie entworfen werden mußte; und dann habe der Erfolg schließlich seine eigenen Probleme mit sich gebracht, unglaubliche Verkaufszahlen, neue Produktionsziffern, Streit wegen der Überstundentarife und des Standorts für eine zweite Fabrik, gegen den alle vier beteiligten Gewerkschaften etwas einzuwenden hatten, so daß sie wie Kinder be-circt und beschwatzt werden mußten, und jetzt, nachdem alles zur Zufriedenheit geklärt worden war, erwartete ihn eine noch größere Herausforderung: Armee-Amo, der khakifarbene Schokoriegel mit dem Slogan »Gib mir mein Amo!«, ein Produktkonzept, das davon ausging, daß mehr für die Streitkräfte getan werden müsse, falls Herr Hitler nicht endlich Ruhe gebe; ja, es bestehe sogar die Hoffnung, daß dieser Riegel zur Notration einer jeden Grundausrüstung gehören sollte, was bedeuten würde, daß die Firma, rails es zu einer allgemeinen Einberufung käme, weitere fünf Fabriken bauen könnte; doch gab es manch einen im Vorstand, der überzeugt davon war, daß man zu einer Einigung mit Deutschland finden könne und finden müsse, weshalb Armee-Amo sich als Schuß in den Ofen erweisen würde; ein Vorstandsmitglied hatte Marshall sogar vorgeworfen, ein Kriegstreiber zu sein, doch aller Erschöpfung und allen bösen Vorwürfen zum Trotz würde er sich von seinem Ziel, seiner Vision nicht abbringen lassen. Marshall endete damit, daß er wiederholte, wie herrlich es sei, »hier draußen« zu sein, in dieser »Abgeschiedenheit«, da man hier doch gleichsam Atem schöpfen könne.
Während sie ihn in den ersten Minuten seines Vortrags beobachtete, verspürte Cecilia ein angenehm flaues Gefühl im Magen, als sie sich ausmalte, wie herrlich selbstzerstörerisch und fast erotisch es doch sein müßte, mit diesem beinahe attraktiven, ungeheuer reichen und doch so unfaßbar dummen Mann verheiratet zu sein. Er würde ihr seine breitgesichtigen Kinder einpflanzen, alles lärmende, dickschädlige Jungen mit einer Vorliebe für Fußballspiele, Gewehre und Flug/ r uge. Als er sich zu Leon umwandte, musterte sie sein Profil Keim Sprechen zuckte ein langer Muskel an seinem Kinn Von den Augenbrauen standen einige dicke schwarze Haare ab, und aus seinen Ohren sproß ein ähnlich schwarzes Gewächs, das sich lächerlich wie Schamhaare kringelte; er sollte mal seinem Friseur Bescheid sagen.
Die allerkleinste Änderung der Blickrichtung rückte ihr Leons Gesicht vor Augen, doch der schaute
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