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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Bad und die dazwischen gezwängte Zelle, sein sogenanntes Arbeitszimmer, lagen unter der südlichen Dachhälfte und waren den ganzen Tag von der Sonne geröstet worden. Seit über einer Stunde, also seit er von der Arbeit zurückgekommen war, lag er in dem lauen Wasser, das allein sein Blut und wohl auch seine Gedanken warm hielten. Langsam zog ein schmales Segment des gesamten Spektrums, gelb zu orange, durch das umrahmte Himmelsrechteck über ihm, während er unvertraute Gefühle Revue passieren ließ und immer wieder zu gewissen Erinnerungen zurückkehrte. Jede stets so neu wie beim ersten Mal. Fiel ihm ein weiteres Detail ein, zuckten hin und wieder seine Bauchmuskeln unter zwei Zentimetern Wasser. Ein Tropfen auf ihrem Oberarm. Naß. Zwischen den BH-Körbchen eine gestickte Blume, ein schlichtes Tausendschön. Ihre Brüste weit auseinander und klein. Auf ihrem Rücken ein Leberfleck, vom Träger halb verdeckt. Als sie aus dem Wasser stieg, der Blick auf das dreieckige Dunkel, das ihr Schlüpfer doch verbergen sollte. Naß. Er sah es, er brachte sich dazu, erneut hinzusehen. Wie straff ihre Beckenknochen den Stoff spannten, dann der ausgeprägte Hüftschwung, die überraschend weiße Haut. Als sie nach ihrem Rock griff, verriet ein achtlos angehobener Fuß, daß Erdkrumen an jedem der so lieblich sich verjüngenden Zehen hing. Noch ein Leberfleck, eine kleine Münze, auf ihrem Schenkel und irgendwas Purpurfarbenes an der Wade – ein rotes Muttermal, eine Narbe. Kein Makel. Eine Zierde. Er hatte sie von klein auf gekannt und doch nie angesehen. In Cambridge war sie einmal mit einem bebrillten Mädchen aus Neuseeland und einer Kommilitonin auf sein Zimmer gekommen, als ein Freund aus Downing zu Besuch bei ihm weilte. Eine Stunde wurde vertändelt, man reichte Zigaretten herum und erzählte läppische Witze. Hin und wieder waren sie sich auch auf der Straße begegnet und hatten sich zugelächelt. Es schien ihr peinlich gewesen zu sein, fast, als flüsterte sie ihren Freundinnen im Vorübergehen zu: Das ist der Sohn unserer Putzfrau. Doch er bewies gern, daß ihm derlei nichts ausmachte – da läuft die Tochter der Frau, für die meine Mutter arbeitet, hatte er mal zu einem Freund gesagt. Ihm blieb immer die Politik, die ihn unangreifbar machte, seine wissenschaftlich belegten Klassentheorien und eine ziemlich aufgesetzt wirkende Selbstsicherheit. Ich bin, was ich bin. Und sie war wie eine Schwester, beinahe unsichtbar. Dieses lange, schmale Gesicht, der kleine Mund – hätte er je darüber nachgedacht, hätte er vielleicht sogar gesagt, sie habe ein Pferdegesicht. Doch er wußte längst, daß eine seltsame Schönheit davon ausging – etwas Ruhiges, wie Geschnitztes, vor allem von den hohen Wangen, dem kühnen Schwung der Nasenflügel und ihrem Mund, voll und glänzend wie eine Rosenknospe. Ihre dunklen Augen wirkten versonnen, der Blick einer Statue, doch bewegte sie sich schnell und ungeduldig – die Vase wäre noch heil, hätte sie ihm das Gefäß nicht so plötzlich aus der Hand gerissen. Sie war ruhelos, keine Frage, gelangweilt, fühlte sich eingesperrt im Hause Tallis und würde sicher bald wieder abreisen.
Er würde mit ihr reden müssen. Schließlich stieg er zitternd aus der Wanne, gewiß, daß eine große Veränderung mit ihm vorging. Nackt lief er durch sein Arbeitszimmer ins Schlafzimmer. Das ungemachte Bett, die wahllos abgeworfenen Kleider, ein Handtuch auf dem Boden und die Äquatorhitze verbreiteten betäubende Sinnlichkeit. Er warf sich lang aufs Bett, Gesicht ins Kissen, und stöhnte. Ihr lieblicher, köstlicher Anblick, seine Freundin aus Kindertagen, die nun unerreichbar zu werden drohte. Sich einfach so auszuziehen – selbst ihr liebenswerter Versuch, exzentrisch zu wirken, sich kühn zu geben, hatte etwas Gewolltes, etwas Übertriebenes an sich. Jetzt würde sie sich mit Vorwürfen plagen und konnte doch nicht wissen, was sie ihm angetan hatte. Dabei wäre alles nicht so schlimm, wenn es sich ausbügeln ließe, wenn sie nicht so wütend auf ihn wäre wegen dieser Vase, die ihm in den Händen zerbrochen war. Aber selbst ihre Wut liebte er. Er drehte sich auf die Seite, die Augen starr und blicklos, und gab sich einer Leinwandphantasie hin: Sie trommelte auf sein Revers, vertraute sich dann mit einem leisen Seufzer der sicheren Umklammerung seiner Arme an und ließ sich von ihm küssen; sie vergab ihm nichts, sie gab bloß auf. Mehrmals betrachtete er diese Szene, ehe er sich wieder dem

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