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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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sechsjährigen Cecilia und ihrem achtjährigen Bruder Leon retten, und durch sie wurde auch Robbie zu dem, was er heute war. In den Schulferien durfte Grace ihren sechsjährigen Jungen mitbringen. Er wuchs heran und konnte sich im Kinderzimmer und überall dort, wo Kinder Zutritt hatten, ob im Haus oder im Garten, frei bewegen. Mit Leon kletterte er auf Bäume, Cecilia aber war seine kleine Schwester, die vertrauensvoll seine Hand nahm und dafür sorgte, daß er sich ungeheuer klug vorkam. Als Robbie einige Jahre später ein Stipendium fürs Gymnasium erhielt, tat sich Jack Tallis zum ersten Mal als Gönner hervor und kam für Uniform und Schulbücher auf. Im selben Jahr wurde Briony geboren. Nach der schwierigen Geburt war Emily lange krank, und Graces Hilfsbereitschaft festigte ihre Stellung: Am Weihnachtstag jenes Jahres – 1922 – marschierte Leon mit Zylinder und hohen Reitstiefeln durch den Schnee zum Pförtnerhaus, in der Hand einen grünen Umschlag von seinem Vater. Das Schreiben des Anwalts teilte Robbies Mutter mit, daß ihr von nun an, unabhängig davon, welche Stellung sie bei der Familie Tallis bekleidete, das Pförtnerhaus gehörte. Doch sie war auch weiterhin jeden Tag gekommen und hatte, als die Kinder älter wurden, sich wieder mehr um die Hausarbeit gekümmert und sich ganz besonders fürs Polieren verantwortlich gefühlt.
Über Ernest hatte sie sich folgende Theorie zurechtgelegt: Er war unter falschem Namen an die Front geschickt worden und nicht zurückgekehrt. In jedem anderen Fall wäre das Desinteresse für das Schicksal seines Sohnes einfach unmenschlich gewesen. Während der wenigen Minuten, die sie am Tag für sich hatte, etwa wenn sie vom Pförtnerhaus zum Herrenhaus lief, dachte sie oft daran, welch vorteilhafte Wende ihr Leben doch genommen hatte. Vor Ernest hatte sie nämlich immer etwas Angst gehabt. Vielleicht wären sie zusammen gar nicht so glücklich geworden, wie sie es in dem eigenen kleinen Haus mit ihrem genialen Liebling war. Tja, wenn Mr. Tallis ein anderer Mann gewesen wäre… Manch eine Frau, die sich bei ihr für einen Schilling einen Blick in die Zukunft kaufte, war von ihrem Mann verlassen worden, und weit mehr Ehemänner waren an der Front getötet worden. Diese Frauen führten ein erbärmliches Leben; fast wäre es ihr ebenso ergangen.
»Nichts«, erwiderte er auf ihre Frage. »Mit mir ist überhaupt nichts.« Und während er nach Bürste und schwarzer Schuhwichse griff, sagte er: »Dann sieht die Zukunft für Molly also rosig aus.«
»Sie heiratet innerhalb der nächsten fünf Jahre. Und sie wird sehr glücklich werden. Jemand aus dem Norden, ein Mann mit Bildung.«
»Weniger hätte sie auch nicht verdient.«
In behaglichem Schweigen schaute sie zu, wie er mit einem gelben Poliertuch die Halbschuhe wienerte. Bei jeder Bewegung zuckten über seinen hübschen Wangenknochen die Muskeln, strafften sich unter der Haut an den Armen und bildeten komplizierte Muster. Irgendwas mußte an Ernest dran gewesen sein, daß er ihr einen solchen Jungen hinterlassen hatte.
»Du willst also los?«
»Leon kam gerade an, als ich zurückging. Weißt du, er hatte seinen Freund dabei, diesen Schokokönig, und die beiden haben mich überredet, heute abend zum Dinner zu kommen.« »Ach nee, deshalb habe ich also den ganzen Nachmittag das Silber geputzt. Und sein Zimmer hergerichtet.«
Er nahm seine Schuhe und stand auf. »Such ich mein Gesicht im Löffel, seh ich nur dich.«
»Raus mit dir. Deine Hemden hängen in der Küche.« Er packte Bürste und Schuhwichse wieder in die Kiste, trug sie hinaus, wählte unter den drei Hemden auf dem Trockengestell eines aus cremefarbenem Leinen aus, ging zurück durchs Wohnzimmer und wollte schon nach draußen, als sie ihn noch mal zurückhielt. »Und dann diese Kinder. Macht der Junge doch glatt ins Bett. Die armen kleinen Mäuse.«
Robbie blieb achselzuckend in der Tür stehen. Er hatte nach ihnen gesehen und sie am Schwimmbecken entdeckt, wo sie am späten Vormittag in der Hitze schrien und lachten. Wenn er nicht dazwischengegangen wäre, hätten sie noch seine Schubkarre ins tiefe Wasser geschoben. Danny Hardman war ganz in der Nähe gewesen und hatte lüstern nach dem Mädchen gestiert, obwohl er eigentlich arbeiten sollte.
»Die werden’s schon überleben«, sagte er.
Plötzlich konnte er es kaum mehr erwarten, endlich aus dem Haus zu kommen, rannte nach oben, nahm drei Stufen mit jedem Schritt, zog sich rasch in seinem Schlafzimmer fertig an,

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