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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Möse, Deine süße, feuchte Möse. In Gedanken liebe ich Dich von früh bis spät.
Da – es war passiert, die Reinschrift ruiniert. Er zog das Blatt aus der Schreibmaschine, legte es beiseite und schrieb den Brief von Hand noch einmal neu, fand er doch, daß dieser persönliche Zug dem Anlaß angemessen war. Bei einem Blick auf die Uhr fiel ihm schließlich ein, daß er noch seine Schuhe putzen mußte. Er erhob sich vom Schreibtisch und achtete darauf, sich nicht den Kopf an den Deckenbalken zu stoßen.
Er kannte keine gesellschaftliche Scheu, was manch einer ziemlich ungehörig fand. So war er bei einem Abendessen in Cambridge mal während eines plötzlich auftretenden Schweigens von jemandem, der ihn nicht mochte, laut nach seinen Eltern gefragt worden. Robbie hatte den Mann mit offenem Blick gemustert und ihm freundlich geantwortet, daß sein Vater sich schon vor langem auf und davon gemacht habe und daß seine Mutter als Reinemachefrau arbeite, ihr Einkommen aber gelegentlich auch als Wahrsagerin aufbessere. Sein unbekümmerter, nachsichtiger Ton verzieh dem Fragesteller dessen Unwissenheit. Danach erläuterte Robbie eingehend seine näheren Lebensumstände und erkundigte sich zum Schluß höflich nach den Eltern seines Gegenübers. Manche Leute behaupteten, daß es seine Unschuld sei, seine Unerfahrenheit, die ihn vor jeder Kränkung schütze, daß er eine Art heiliger Narr sei, der selbst durch einen mit glühender Kohle ausgelegten Salon gehen könne, ohne sich weh zu tun. Doch Cecilia wußte, in Wahrheit verhielt es sich einfacher. Robbie hatte sich von klein auf ungehindert zwischen dem Pförtnerhaus und dem Haus der Familie Tallis bewegen können. Jack Tallis förderte ihn, Leon und Cecilia waren seine besten Freunde, zumindest bis zum Gymnasium. Und als Robbie an der Universität feststellte, daß er schlauer als die meisten Studenten war, streifte er auch noch die letzten Fesseln ab. Er brauchte sich seine Überlegenheit nicht anmerken zu lassen.
    Grace Turner machte es nichts aus, sich um seine Wäsche zu kümmern – wie hätte sie auch sonst, außer mit warmen Mahlzeiten, ihre Mutterliebe beweisen können, da ihr Baby doch schon dreiundzwanzig Jahre alt war? –, doch seine Schuhe putzte Robbie lieber selbst. In Anzugshose und weißem Unterhemd lief er auf Socken die kurze, steile Treppe hinunter, in der Hand ein Paar schwarze Halbschuhe. Von der Wohnzimmertür führte ein schmaler Vorraum bis zur Haustür, durch deren Milchglasscheibe ein unbestimmtes, blutoranges Licht die beige- und olivefarbenen Tapeten mit einem feurigroten Honigwabenmuster verzierte. Überrascht von dieser Verwandlung hielt er kurz inne, eine Hand auf dem Türknauf, und trat dann ein. Im Zimmer war es stickig und warm, die Luft schmeckte leicht salzig. Offenbar war die Sitzung gerade erst zu Ende gegangen. Seine Mutter lag auf dem Sofa, Pantoffeln baumelten an ihren Füßen. »Molly war hier«, sagte sie und richtete sich auf, als er l hereinkam. »Und weißt du, was? Mit ihr wird alles wieder gut-« Robbie holte sich den Schuhputzkasten aus der Küche, setzte sich in einen Sessel neben seine Mutter und breitete eine Seite des drei Tage alten Daily Sketch auf dem Teppich aus. »Prima«, sagte er. »Ich hab euch gehört und bin deshalb oben geblieben, um ein Bad zu nehmen.«
Er wußte, daß er gleich aufbrechen und vorher seine Schuhe putzen mußte, doch er lehnte sich zurück, reckte die langen Glieder und gähnte.
»Unkraut jäten! Mein Gott, was fang ich nur mit meinem Leben an?«
Er klang eher amüsiert als besorgt, kreuzte die Arme und starrte an die Zimmerdecke, während er mit dem großen Zeh des einen Fußes den Spann des anderen massierte.
Seine Mutter starrte in die Leere über seinem Kopf. »Erzähl schon. Was gibt’s? Was ist los? Und sag bloß nicht ›gar nichts‹.«
Eine Woche nachdem Ernest verschwunden war, wurde Grace Turner Putzhilfe bei der Familie Tallis, denn eine junge Frau mit Kind auf die Straße zu setzen, das brachte Jack Tallis nicht fertig. Im Dorf fand er einen Gärtner und Handlanger, dem er keine Unterkunft zu stellen brauchte, ging aber davon aus, daß Grace nur ein oder zwei Jahre bleiben und dann fortziehen oder wieder heiraten würde. Ihr sonniges Gemüt und ihr Geschick im Polieren – die Familie spöttelte gern über die Andacht, mit der sie sich den Oberflächen der Dinge widmete – sorgten dafür, daß Grace im Haus gern gesehen war, doch sollte sie letztlich ihre Beliebtheit bei der

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