McEwan Ian
zu müssen. Eigentlich ziemlich typisch…«
Sie lachte nervös auf.
»Deine Art?« fragte er.
Bis jetzt hatte sie den Blick gesenkt gehalten, doch als sie Antwort gab, schaute sie ihn an. Er sah nur das Weiße in ihren Augen schimmern.
»Du hast es vor mir gewußt. Etwas ist passiert, nicht? Und du hast es schon gewußt. Das ist, als würde man so nah vor etwas Großem stehen, daß man es nicht mehr sehen kann. Selbst jetzt weiß ich nicht genau, ob ich es wirklich sehe, aber ich weiß, daß es da ist.«
Sie blickte wieder nach unten, und er wartete. »Ich weiß es, weil ich mich deshalb so lächerlich aufführe. Du dich natürlich auch… Aber heute morgen, so was habe ich noch nie getan. Hinterher war ich ganz schön wütend auf mich. Eigentlich schon, als es passierte. Ich sagte mir, daß ich dir eine Waffe an die Hand gegeben habe, die du gegen mich nutzen könntest. Und dann, heute abend, als ich langsam zu begreifen begann – wie kann man nur so ahnungslos sein? So dumm?« Ein unangenehmer Gedanke ließ sie zusammenzucken. »Weißt du überhaupt, wovon ich rede? Sag mir, daß du es weißt.« Sie hatte Angst, daß es gar nichts Gemeinsames gab, daß ihre Vermutungen falsch waren und sie sich mit ihren Worten nur noch weiter isoliert hatte, daß er sie für eine Närrin hielt.
Er rückte näher an sie heran. »Ich weiß es. Ich weiß es genau. Aber warum weinst du? Willst du mir noch etwas sagen?« Er dachte, es gäbe ein unüberwindbares Hindernis, und er meinte natürlich, daß sie bereits jemanden hätte, aber sie verstand nicht. Sie wußte nicht, was sie ihm antworten sollte, und blickte ihn bestürzt an. Warum sie weinte? Wie sollte sie ihm das erklären, wo soviel Gefühl, so viele Gefühle auf sie einstürmten? Er spürte selbst, daß seine Frage unfair war, unangebracht, weshalb er krampfhaft überlegte, wie sie sich besser formulieren ließe. Verwirrt starrten sie sich beide an, brachten kein Wort hervor und spürten, daß ein zartes, kaum geschlungenes Band sich wieder zu lösen drohte. Daß sie seit Kindertagen alte Freunde waren, wurde ihnen jetzt zum Hemmnis – ihre frühere Beziehung war ihnen peinlich. In den letzten Jahren hatten sie sich voneinander entfernt, ihre Freundschaft war brüchig geworden, doch war sie immer noch eine alte Gewohnheit, und mit ihr zu brechen, um sich einander als Fremde zu nähern, verlangte eine absichtsvolle Eindeutigkeit, die ihnen für den Augenblick abhanden gekommen war. Worte schienen da keinen Ausweg zu bieten.
Er legte seine Hände auf ihre bloßen Schultern. Ihre Haut fühlte sich kühl an, doch als sich ihre Gesichter einander näherten, war er sich unsicher und glaubte, sie würde fortspringen oder ihn, wie in einem Film, mit flacher Hand auf die Wange schlagen. Ihr Mund schmeckte nach Lippenstift und Salz. Nur kurz ließen sie voneinander ab, dann nahm er sie in den Arm; sie küßten sich erneut, diesmal mit größerem Selbstvertrauen. Mutig zuckten ihre Zungenspitzen vor, berührten sich, und genau in diesem Augenblick gab Cecilia jenen nachgebenden, seufzenden Laut von sich, der, wie er erst später begriff, einen Wandel ankündigte. Bis zu dieser Sekunde war es noch irgendwie komisch gewesen, ein vertrautes Gesicht so nah vor Augen zu haben. Sie fühlten sich von den amüsierten Blicken jener Kinder beobachtet, die sie einmal gewesen waren, aber die Berührung der Zungen – lebende, schlüpfrige Muskel, feuchte Haut auf Haut – und der seltsame Laut, der sich ihr entwand, änderten alles. Dieser Laut schien in ihn einzudringen, ihn der Länge nach zu durchfahren, so daß sein ganzer Körper aufbrach und er aus sich heraustreten konnte, um sie ungeniert zu küssen. Was zuvor gehemmt gewesen war, schien nun unpersönlich, beinahe abstrakt. Ihr Seufzer klang gierig, und er machte ihn gierig. Hart drängte er sie in die Ecke zwischen die Bücher. Sie küßte ihn, zerrte an seinen Kleidern, zupfte blindlings an seinem Hemd, seinem Hosenbund herum. Ihre Köpfe zuckten, attackierten einander, aus den Küssen wurden Bisse. Ihr Mund schnappte keineswegs bloß spielerisch nach seiner Wange. Robbie fuhr zurück, kam wieder, und sie biß noch einmal zu, härter diesmal, biß in seine Unterlippe. Er küßte ihren Hals, zwängte ihren Kopf ins Regal, sie riß an seinem Haar und drückte sein Gesicht auf ihre Brüste. Unerfahrenes Gefummel, dann hatte er ihre Brustwarzen gefunden, klein und hart, und er nahm sie in den Mund. Sie erstarrte, dann überlief sie ein
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