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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Schauder. Eine Sekunde lang glaubte er, sie wäre ohnmächtig geworden. Ihre Arme schmiegten sich um seinen Kopf, und als sie zudrückte, tauchte er auf, rang nach Atem, richtete sich zu voller Größe auf und zog sie an sich, preßte ihren Kopf an seine Brust. Wieder schnappte sie nach ihm, zerrte an seinem Hemd. Als sie einen Knopf auf die Dielen hüpfen hörten, mußten sie ein Grinsen unterdrücken und den Blick abwenden. Gelächter hätte das Ende bedeutet. Sie knabberte an seinen Brustwarzen. Das Gefühl war unerträglich. Er hob ihr Gesicht an, hielt sie, drückte sie an seine Rippen und küßte ihre Augen, teilte ihre Lippen mit seiner Zunge. Hilflosigkeit entlockte ihr aufs neue einen Laut, der wie ein enttäuschtes Seufzen klang.
Endlich waren sie Fremde, ihre Vergangenheit vergessen. Sie wurden sogar sich selbst fremd und wußten nicht mehr, wer oder wo sie waren. Die schwere Tür zur Bibliothek ließ keinerlei vertraute Laute zu ihnen durchdringen, die sie zu sich bringen oder sie aufhalten konnten. Sie waren der Gegenwart entrückt, außerhalb der Zeit, kannten weder Erinnerung noch Zukunft. Es gab nur noch dieses alles verlöschende, packende, anschwellende Gefühl und den Laut von Stoff auf Stoff, von Haut auf Stoff, als ihre Glieder sich in ruhelosem, sinnlichem Ringkampf aneinander rieben. Seine Kenntnis war gering, und er wußte nur aus zweiter Hand, daß sie sich nicht hinlegen mußten. Sie dagegen verfügte bis auf die Filme, die sie gesehen hatte, all die Romane und Gedichte, die sie gelesen hatte, nicht über die geringste Erfahrung. Trotz dieses Nachteils überraschte es sie nicht im mindesten, wie genau sie wußten, was sie wollten. Sie küßten sich erneut, ihre Arme klammerten sich um seinen Kopf. Sie leckte an seinem Ohr, dann biß sie ihm ins Ohrläppchen. Und diese Bisse erregten ihn, brachten ihn immer stärker auf, führten ihn. Unter ihrem Kleid tastete er nach ihren Pobacken, drückte fest zu, drehte sie halb, um ihr einen Klaps zu geben, es ihr heimzuzahlen, aber dafür war nicht genügend Platz. Sie griff nach unten, um sich die Schuhe auszuziehen, und ließ ihn dabei keinen Moment aus den Augen. Noch mehr Gefummel, diese Knöpfe, die Beine und Arme, die in die richtige Stellung gebracht werden mußten. Sie hatte überhaupt keine Erfahrung. Ohne ein Wort hob er ihren Fuß aufs unterste Regal. Sie bewegten sich unbeholfen, waren aber viel zu selbstlos, um sich jetzt dafür zu schämen. Als er das enge Seidenkleid hochschob, schien es ihm, als spiegelte ihr unsicherer Blick sein Empfinden. Doch es gab nur das eine unvermeidbare Ende, und sie konnten nichts anderes tun, als sich darauf zuzubewegen.
Von seinem Gewicht in der Ecke gehalten, schlang sie erneut die Arme um seinen Hals, stützte die Ellbogen auf seine Schultern und hörte nicht auf, sein Gesicht zu küssen. Der Augenblick selbst kam mühelos. Sie hielten den Atem an, als die Membran nachgab, und im selben Moment blickte Cecilia rasch zur Seite, gab aber keinen Laut von sich, als wäre es eine Frage des Stolzes. Sie rückten näher zusammen, tiefer ineinander, und dann, mehrere Sekunden lang, geschah nichts. Statt ekstatischer Raserei herrschte Reglosigkeit. Und nicht die erstaunliche Tatsache, daß sie angekommen waren, sondern das ehrfürchtige Gefühl, zurückgekehrt zu sein, ließ sie verharren – Kopf an Kopf im Dämmerlicht starrten sie in das wenige, was vom Auge des anderen zu erkennen war. Endlich fiel alles Unpersönliche von ihnen ab. Natürlich war an einem Gesicht nichts unfaßbar. Der Sohn von Grace und Ernest Turner, die Tochter von Emily und Jack Tallis, Freunde seit Kinderzeit, Studienkameraden, stellten sich in einem Augenblick umfassenden, stillen Glücks der ungeheuren Veränderung, die sie bewirkt hatten. Das so nahe, vertraute Gesicht war nicht lächerlich, es war wundervoll. Robbie starrte die Frau an, das Mädchen, das er immer schon gekannt hatte, und dachte, die Veränderung beträfe allein ihn und sei so fundamental, so elementar biologisch wie die Geburt. Nichts derart Einzigartiges oder Bedeutendes war seit dem Tag seiner Geburt geschehen. Sie erwiderte seinen Blick, erschüttert von der eigenen Verwandlung, überwältigt von der Schönheit in einem Gesicht, das zu ignorieren sie eine lebenslange Gewohnheit gelehrt hatte. Sie flüsterte seinen Namen so behutsam wie ein Kind, das die einzelnen Laute probiert. Als er mit ihrem Namen antwortete, klangen die wenigen Silben wie ein neues Wort – der

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