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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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abgewandt hatten, um nun unauffällig ihre Kleider zu richten. Es war vorbei.
    Die Teller fürs Hauptgericht waren längst wieder abgeräumt worden, und Betty hatte den Brotpudding aufgetragen. War es Einbildung, fragte sich Robbie, oder lag es an Bettys Niedertracht, daß ihm die Portionen der Erwachsenen doppelt so groß wie die der Kinder vorkamen? Leon schenkte die dritte Flasche Barsac ein. Er hatte sein Jackett
ausgezogen und somit den beiden anderen Männern erlaubt, es ihm gleichzutun. Leise pochte es an die Fenster, wenn Nachtschwärmer sich gegen die Scheiben warfen. Mrs. Tallis tupfte sich mit der Serviette das Gesicht ab und schaute mit Wohlwollen auf die beiden Zwillinge. Pierrot flüsterte Jackson etwas ins Ohr.
»Keine Geheimnisse am Essenstisch, ihr beiden. Wir möchten alle gern hören, was euch beschäftigt.«
Jackson, zum Sprecher ernannt, mußte heftig schlucken. Sein Bruder hielt den Blick gesenkt.
»Könntest du uns bitte entschuldigen, Tante Emily? Wir wollen auf die Toilette.«
»Natürlich, aber es heißt ›wir möchten‹, nicht ›wir wollen‹. Und es wäre keineswegs nötig gewesen, uns so genau wissen zu lassen, was ihr vorhabt.«
Die Zwillinge rutschten von ihren Stühlen. Als sie an der Tür anlangten, wies Briony plötzlich mit dem Finger auf sie und kreischte: »Meine Socken! Die tragen ja meine Erdbeersokken!«
Die Jungen blieben stehen, drehten sich um und schauten beschämt erst auf ihre Fußknöchel und dann auf ihre Tante. Briony war von ihrem Platz aufgesprungen. Es mußten mächtige Gefühle in dem Mädchen sein, dachte Robbie, die jetzt ein Ventil fanden.
»Ihr seid in mein Zimmer gegangen und habt sie aus meiner Schublade genommen.«
Cecilia hatte während des Essens kaum ein Wort gesagt, doch jetzt brachen auch aus ihr tiefere Gefühle hervor.
»Herrgott noch mal, nun halt doch den Mund! Manchmal bist du wirklich eine enervierende kleine Primadonna.
Die Jungen hatten keine sauberen Socken, also habe ich ihnen welche gegeben.«
Verblüfft starrte Briony sie an. Gescholten, betrogen von derjenigen, die sie doch nur beschützen wollte. Jackson und Pierrot schauten immer noch auf ihre Tante, die zweifelnd den Kopf neigte, sie dann aber doch mit einem leichten Nicken entließ. Mit übertriebener, fast theatralischer Sorgfalt schlössen sie hinter sich die Tür, und kaum hatten sie die Klinke losgelassen, griff Emily zum Löffel, und alle anderen taten es ihr nach. Sanft tadelnd sagte sie: »Könntest du nicht etwas freundlicher zu deiner Schwester sein?«
Als sich Cecilia an ihre Mutter wandte, fing Robbie einen Hauch von Achselschweiß auf, der ihn an frisch gemähtes Gras denken ließ. Bald würden sie draußen sein. Er schloß kurz die Augen. Ein Krug mit Vanillesoße, ein Liter oder mehr, wurde vor ihm abgestellt, und er wunderte sich, daß er die Kraft hatte, ihn anzuheben.
»Tut mir leid, Emily, aber sie benimmt sich schon den ganzen Tag daneben.«
Mit der Gelassenheit einer Erwachsenen erwiderte Briony: »Das mußt gerade du sagen.«
»Soll heißen?«
Das, wußte Robbie, war nicht die richtige Frage. In dieser Phase ihres Lebens befand sich Briony in einem unbestimmten Übergangsstadium zwischen Kinderzimmer und Erwachsenenwelt, und niemand vermochte zu sagen, wann sie die Grenze in welche Richtung überschritt. In ihrer jetzigen Verfassung als aufgebrachtes, kleines Mädchen war sie jedenfalls geradezu gefährlich.
Eigentlich wußte Briony selbst nicht so genau, was sie sagen wollte, doch konnte Robbie das nicht ahnen, als er eingriff, um das Thema zu wechseln. Er wandte sich an Lola, die links von ihm saß, redete aber, als schlösse er den ganzen Tisch mit ein: »Nette Jungen, deine Brüder.«
»Ha!« Briony war wütend und gab ihrer Kusine keine Zeit zur Antwort. »Das beweist doch bloß, wie wenig Ahnung du hast.« Emily legte den Löffel hin. »Wenn du jetzt nicht aufhörst, Liebling, muß ich dich bitten, den Tisch zu verlassen.«
»Aber sieh doch, was sie ihr angetan haben! Ihr Gesicht haben sie zerkratzt und tausend Stecknadeln mit ihren Handgelenken gespielt.«
Alle Augen richteten sich auf Lola. Die Haut um ihre Sommersprossen lief dunkel an, weshalb der Kratzer kaum noch zu erkennen war.
Robbie sagte: »So schlimm sieht es nun auch wieder nicht aus.«
Briony funkelte ihn erbost an. Ihre Mutter sagte: »Die Fingernägel kleiner Jungen. Wir sollten dir eine Salbe besorgen.« Lola gab sich tapfer. »Ich habe mich schon drum gekümmert. Und es tut auch kaum noch

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