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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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doch ihm selbst und Cecilia vorbehalten, wartete nur auf sie, darauf, daß sie es nutzten und für sich beanspruchten. Morgen würde gehen, auch irgendeine andere Zeit, bloß jetzt nicht. Doch plötzlich hatte das Haus seinen Inhalt in eine Nacht gespien, die nun von einer familiären, fast komischen Katastrophe beherrscht wurde. Stundenlang würden sie sich draußen herumtreiben, würden Hallo schreien und Fackeln schwenken, bis man irgendwann die müden, dreckigen Zwillinge fand. Lola würde sich wieder beruhigen, und nachdem man sich bei einem Nachttrunk gegenseitig beglückwünscht hatte, fände der Abend sein Ende. Nach Tagen oder schon nach Stunden wäre all dies bloß noch eine amüsante Erinnerung, die bei Familientreffen hervorgekramt wurde: Die Nacht, in der die Zwillinge fortrannten. Die Suchmannschaften brachen bereits auf, als Robbie durch die Haustür nach draußen trat. Cecilia hatte sich bei ihrem Bruder untergehakt, drehte sich aber, ehe sie ging, noch einmal um und sah ihn im Licht der Eingangshalle stehen. Mit einem Blick und einem Achselzucken gab sie ihm zu verstehen, daß ihr im Augenblick nichts anderes übrigblieb. Und noch ehe er mit einer Geste liebevollen Verständnisses reagieren konnte, wandte sie sich von ihm ab und zog, die Namen der Jungen rufend, mit Leon davon. Marshall war ihnen über die Auffahrt bereits vorausgeeilt und nur noch durch die Fackel in seiner Hand auszumachen. Lola war gar nicht mehr zu sehen. Briony ging ums Haus herum. Sie wollte natürlich nicht mit Robbie Zusammensein, wie er mit einiger Erleichterung feststellte, da er bereits entschieden hatte: Wenn er nicht mit Cecilia gehen konnte, wenn er sie nicht ausschließlich für sich haben konnte, dann würde er sich, genau wie Briony, allein auf die Suche machen. Diese Entscheidung aber sollte, wie er sich noch oft eingestehen mußte, sein Leben verändern.
Zwölf
    A uch wenn das alte Haus der Gebrüder Adam noch so stilvoll gewesen war und noch so imposant den Park beherrscht hatte, konnten seine Mauern doch niemals so wuchtig wie die des Landsitzes gewesen sein, der nun seinen Platz einnahm, noch hatten seine Zimmer wohl je diese beklemmende Stille gekannt, die das Haus Tallis gelegentlich zu überwältigen drohte. Emily spürte deren erdrückende Allgegenwart, als sie die Tür hinter den Suchtrupps schloß und sich der Halle zuwandte. Vermutlich saß Betty mit ihren Gehilfen noch in der Küche beim Nachtisch und ahnte nicht, daß der Speisesaal verlassen dalag. Kein Ton war zu hören. Die Mauern, die Täfelung, das aufdringlich klobige, fast neue Inventar, die kolossalen Kaminböcke, die mannshohen Feuerstellen aus hellem Stein erinnerten an vergangene Jahrhunderte und an eine Zeit einsamer Burgen in schweigenden Wäldern. Ihr Schwiegervater mußte äußersten Wert auf eine Atmosphäre der Gediegenheit und Familientradition gelegt haben. Ein Mann, der sein Leben damit zugebracht hatte, eiserne Riegel und Schlösser zu ersinnen, kannte den Wert ungestörter Abgeschiedenheit. Gegen Lärm von draußen war man drinnen jedenfalls völlig gefeit, selbst vertraute, häusliche Geräusche klangen gedämpft und wurden manchmal regelrecht erstickt.
Emily seufzte, konnte sich selbst nicht recht hören, und seufzte noch einmal. Sie war zum Telefon gegangen, das auf einem halbrunden, schmiedeeisernen Tisch neben der Tür zur Bibliothek stand, ihre Hand lag auf dem Hörer. Um Wachtmeister Vockins sprechen zu können, würde sie erst mit seiner Frau reden müssen, einem Plappermaul, das gern über Hühnereier und derlei Dinge schwatzte – Futterpreise, Füchse und daß die neumodischen Tragetüten doch viel zu dünn seien. Ihr Mann dagegen weigerte sich beharrlich, ihr jenen Respekt zu erweisen, den man von einem Polizisten eigentlich erwarten durfte. Vielmehr pflegte er Platitüden von sich zu geben, die wie hart erkämpfte Weisheiten aus seinem zugeknöpften Brustkorb quollen: Für ihn regnete es nie, es schüttete nur; Müßiggang war aller Laster Anfang, und ein fauler Apfel verdarb die ganze Ernte. Im Dorf hieß es, er sei, bevor er zur Polizei ging und sich einen Schnauzbart wachsen ließ, bei der Gewerkschaft gewesen. Damals, in den Tagen des Generalstreiks, wollte man gesehen haben, wie er in der Eisenbahn Flugblätter verteilte. Was sollte sie dem Wachtmeister bloß sagen? Bis er ihr erzählt hatte, daß Jungs nun einmal Jungs sind, bis ein halbes Dutzend Dorfbewohner aus dem Bett geholt und ein Suchtrupp

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