McJesus
benützte, um Botschaften zu übermitteln. Der Anblick dieses misshandelten Kindes war ergreifender als der gekreuzigte Christus. Er betrat das Zimmer und ließ sich in die Hocke nieder. Er hoffte, sein Priesteranzug würde dem Mädchen Vertrauen einflößen. »Ich tu dir nichts«, sagte er. »Bist du okay?«
Alissa drückte ihre Puppe an sich und sah Dan misstrauisch an.
»Ich bin … Pater Michael.« Es war das erste Mal, dass er diese Lüge aussprach. Sie kam ihm nicht ohne Stocken über die Lippen, und die Tatsache, dass er sie einem misshandelten Kind gegenüber gebrauchte, zehn Sekunden nachdem er es gesehen hatte, empfand er als ziemlich beschämend. »Und wie heißt du?«
Alissa blickte auf den Boden und schwieg.
»Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst«, sagte Dan. »Ich weiß, wie das ist. Ich habe mich auch schon sehr gefürchtet.« Plötzlich meldeten sich Gefühle bei ihm, die er vor Jahrzehnten irgendwo weggesperrt hatte – Gefühle von Verlassenheit und Verwundbarkeit; die Angst, in einer großen Welt klein und schutzlos zu sein. Er wollte dieses kleine Mädchen trösten, aber er wusste nicht, wie. Er hatte keine Übung in solchen Dingen. Trotzdem. Er musste etwas tun. »Ich sag dir was«, sagte er. »Ich werde eine Weile hier im Care Center sein, und immer, wenn du etwas möchtest, kommst du zu mir, und ich kümmere mich darum. Was meinst du dazu?« Alissa blickte ein klein wenig auf, aber sie schien ihm nicht über den Weg zu trauen.
Plötzlich setzte bei Dan dieses prickelnde Gefühl wieder ein. Es begann an der Kopfhaut und rieselte über seinen Körper bis hinunter zu den Zehen. Er blickte auf seine Hände und fragte sich, was da mit ihm vorging. Aber es war nichts zu sehen. Es war seine Seele, die sich plötzlich geöffnet hatte und ihm zeigte, dass dies die Chance für ihn war, sich neu zu erschaffen – die Chance seiner Wiedergeburt. Wie es aussah, würde es der neue, bessere, selbstlose Dan Steele werden. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er zu dem kleinen Mädchen. »Es wird alles wieder gut.«
Dan ging rückwärts aus dem Zimmer und schloss leise die Tür. Dann blickte er an sich herunter, und wie ein neu erfundener Superheld, der die Kräfte akzeptiert, die ihm verliehen wurden, begriff er, welches Potenzial in seinem neuen Outfit steckte. Es bot ihm die Möglichkeit, Gutes zu tun. Und dieses Gute bestünde nicht darin, andere Menschen davon zu überzeugen, dass sie weißere Zähne oder einen frischeren Atem bräuchten, sondern in ehrlichen, richtig guten Taten.
Ich wurde hierher geschickt, um diesen Menschen zu helfen, dachte er, und fand, dass es so gar nicht seine Art war, so zu denken. Doch gleichzeitig konnte er sich nicht vorstellen, jemals anders gedacht oder empfunden zu haben. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder fürchten sollte. Natürlich kam ihm das Ganze verdächtig vor, aber nicht einmal seine angeborene Skepsis half gegen dieses sonderbare Etwas, das ihn am Wickel hatte. Es war die komischste Sache, die ihm je passiert war.
»Ja hallo!« Eine Stimme holte Dan zurück auf den Boden der Tatsachen. Er drehte sich um und sah eine Frau in einem fleckigen Arbeitskittel, Blue Jeans und mit einer Baseballmütze auf dem Kopf. Sie war ungefähr in seinem Alter, vielleicht ein bisschen jünger. An ihren Schläfen und Wangen klebten braune, schweißnasse Haarsträhnen, und zarte Krähenfüßchen liefen auf sanfte braune Augen zu. Einen Moment später merkte Dan, dass er die Frau anstarrte. »Oh, hallo«, sagte er errötend.
Als er auf sie zuging, sah er, dass das, was sie auf dem Kopf trug, keine Baseballmütze war, sondern eine Nonnenhaube, und das konnte nur bedeuten, dass diese Frau »die Nonne« war.
»Oh, tut mir Leid, Schwester«, sagte Dan verwirrt. »Es tut gut, Sie wiederzusehen.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin froh, wieder hier zu sein.«
Schwester Peg sah ihn mitfühlend an. »Sie Armer«, sagte sie und nahm seine Hände. Sie bog den Kopf zurück und sah ihm in die Augen. »Es tut mir so Leid wegen Ihres Bruders.«
Ihre aufrichtige Anteilnahme beruhigte Dan. »Danke, Schwester.« Er war von Alissas Anblick und von dem, was in ihm vorging, so benommen gewesen, dass er vergessen hatte, die Rolle des trauernden Bruders zu spielen. Trotz seiner geistigen Wiedergeburt war er nicht völlig überzeugt, dass in dieser Situation ehrlich am längsten währen würde. Aber Dan hatte einen ausgeprägten Sinn für das Praktische, und der sagte ihm, dass es
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