McJesus
jammern und tanzen Sie«, sagte sie.
Dan wedelte aufgeregt mit den Händen. »Nein! Hier wird nicht getanzt!«, rief er. »Sie ziehen sich jetzt wieder an, meine Herrschaften. Das Spiel ist vorbei.« Unter Knurren und Stöhnen begannen sie, sich anzuziehen. Obwohl sie zusammen eine rund vierhundertjährige Übung im Anziehen hatten, war es ein langwieriger und schmerzlich zu beobachtender Vorgang. Beim Anblick von all dem pendelnden Fleisch blieb Dan für Sekunden die Luft weg, ungefähr so, als hätte er einen kräftigen Schlag auf den Brustkorb bekommen.
»Du siehst besser aus.« Ruth starrte Dan an, während sie einen Schuh anzog – das einzige Kleidungsstück, das sie bei dem Spiel verloren hatte. »Du hast mir gefehlt.«
»Ja«, sagte Dan gedehnt. »Du hast mir auch gefehlt.« Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er konnte nicht einfach mit der Wahrheit herausplatzen. Hör zu, Mom, ich bin in Wirklichkeit Dan. Michael ist tot, und ich habe ein paar Verbrechen begangen. Es wäre mir lieb, wenn du kein Wort darüber verlieren würdest. Er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Würde sie durchdrehen und seine Tarnung auffliegen lassen? Das konnte er unmöglich riskieren. Dan bemerkte, dass Ruth ihn forschend ansah. Vielleicht konnte sie ihre beiden Söhne auf eine Weise unterscheiden, von der er nichts wusste. Er drehte sich ein wenig zur Seite, so dass sie sein Gesicht nicht ganz sehen konnte. »Hast du deine Medizin genommen?«, fragte er.
Sie lächelte. »Ich bin in letzter Zeit nicht festgenommen worden – wenn das deine Frage beantwortet.« Sie stand auf und ging zur Tür.
Dan sah ihr an, dass sie etwas vorhatte, aber was sie vorhatte, ließ sie nicht erkennen. Er beschloss, das Thema Dan zu meiden, solange sie nicht direkt nach Dan fragte. Er beschloss auch, seine Mom nicht direkt anzulügen, weil er glaubte, dass eine Unterlassungssünde weniger schwer wog als eine aktiv begangene Sünde.
»Hast du in letzter Zeit etwas von deinem Bruder gehört?«, fragte Ruth, als er ihr auf den Gang hinaus folgte.
O verdammt, dachte Dan. Was meint sie damit? Sie hat gesagt »dein Bruder«, nicht »Dan«. War es nur so dahergesagt oder war es ein heimlicher Hinweis, dass sie ihn erkannt hatte? »Ja«, antwortete Dan. »Er ist in New York auf einer Geschäftsreise.
Irgendetwas wegen der Fujioka-Kampagne.« Okay, ich habe gelogen. Aber das war immer noch besser als Ruth aufzuregen und zu riskieren, dass er entdeckt wurde.
»Das ist schön.« Ruth versuchte, einen vollen Blick auf das Gesicht ihres Sohnes zu bekommen. »Du siehst aus, als hättest du in letzter Zeit etwas zugenommen. Also erzähl mir, was du gemacht hast.«
Dan blickte zum Himmel und betete um Erleuchtung.
Scott Emmons war nicht religiös erzogen worden. Sein Vater hielt einen Kirchenbesuch für Zeitverschwendung. Er erlaubte seiner Frau, Scott hin und wieder zum unitarischen Gottesdienst mitzunehmen, aber nicht, ohne ihr ein paar sarkastische Bemerkungen mit auf den Weg zu geben, wie: »Vergiss nicht, in der Kirche um Vergebung zu beten, weil du deine Zeit so unnütz verbringst.«
Was dabei für Scott herauskam, war eine religiöse Sehnsucht, die er völlig missdeutete. Obwohl ihm undeutlich bewusst war, dass etwas in seinem Leben fehlte, hatte er keine Ahnung, was ihm fehlte. Er hatte einen Vater, der an nichts Göttliches glaubte; er hatte öffentliche Schulen besucht, auf denen die Kinder nicht beten lernten. Also suchte Scott seine spirituelle Leere woanders zu füllen. Er befasste sich ein bisschen mit populärpsychologischen Bewegungen, mit den Flatterhaftigkeiten des Newage und in jüngster Zeit mit Motivationskassetten. Bei jedem neuen Versuch hatte er kurz das Gefühl, endlich die Antwort auf seine unbestimmte Frage gefunden zu haben. Aber dieses Gefühl verging jedes Mal wie ein billiger Rausch, und Scott musste seine Suche nach Sinn und Richtlinien im Leben erneut beginnen.
Im Augenblick jedoch, als er vor dem Portal der katholischen Kirche St. Bernhardin von Siena stand, hatte er das erhebende Gefühl, genau auf dem richtigen Weg zu sein. Er betrat die Kirche mit einer Bibel unter dem Arm, von der er annahm, dass sie ihn als normalen Kirchgänger auswies. Die Bibel war so groß wie die auf der Kanzel, eine Jumbo-Ausgabe der Heiligen Schrift und massiv genug, um sie als Waffe zu gebrauchen.
Scott hatte sie in einem Secondhand-Buchladen gekauft und zu Hause bearbeitet; das heißt, er hatte mit einer Rasierklinge in
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