McJesus
Michael am Leben zu halten. Er war tot, dessen war sie sich sicher. Sie fragte sich nur, was passiert war. Jetzt blieb ihr nichts anderes mehr übrig – sie musste Dan fragen. Aber wie? Bestimmt nicht vor anderen Leuten. Vielleicht steckte Dan in Schwierigkeiten.
Warum war er nicht zu ihr gekommen? Sie musste nicht lange darüber nachdenken. Wahrscheinlich hat er befürchtet, ich könnte, verrückt wie ich bin, seine Tarnung auffliegen lassen.
Diese Erkenntnis war ein harter Schlag, aber noch härter traf es sie, als sie an Michael dachte, von dem sie sich nicht einmal verabschiedet hatte. Eines ihrer Kinder war tot. Ruths Hand glitt vom Telefon, und sie rollte sich auf ihrem Bett zusammen und weinte.
Pater Michael arbeitet drei weitere Jahre in verschiedenen Teilen von Afrika, bevor er erneut durchdreht. Was ihn zum zweiten Mal überschnappen lässt, ist eine tückische Kombination von Dingen, die er erlebt hat. In manchen Teilen des Landes sieht er die Menschen verhungern, weil das Land nicht bestellt werden kann; in anderen sieht er sie verhungern, weil der Hunger in den Bürgerkriegen und Stammeskonflikten als Waffe eingesetzt wird. Egal, was die Hilfsorganisationen bei ihrer Spendenwerbung erzählen – Pater Michael kennt inzwischen die Wahrheit, und sie ist es, die ihn zermürbt. Die Wahrheit ist, dass der größte Teil der Lebensmittel und Medikamente, die in diese vom Krieg zerrütteten Gebiete geschickt werden, von der jeweiligen Armee requiriert werden, die gerade die Straßen und Landepisten kontrolliert. Mit anderen Worten: Die Empfänger der Hilfsgüter sind die gleichen Leute, die schuld daran sind, dass Hilfsgüter benötigt werden. Die Hilfsgüter wiederum stärken die Milizen, um neue Probleme zu schaffen, die ihnen neue Hilfsgüter einbringen.
Die Folgen dieses verbrecherischen Kreislaufs sind Tod und Elend in einem Ausmaß, das unvorstellbar ist. Die Konfrontation mit so viel Not und Elend ist hart genug, aber an Pater Michael nagt noch etwas anderes. Sein Glaube ist in Gefahr. Vor dreißig Jahren, als ein Kind, das versuchte mit seinem Schicksal zu leben, hatte er sich der Religion zugewandt. Er entwickelte einen tiefen Glauben, wurde Priester, und dann wollte er sein Amt an einem sehr schwierigen Ort ausüben. Und hier beginnt die Theologie zu versagen.
Pater Michael muss erkennen, dass die organisierte Religion die Wurzel der Probleme ist, gegen die er kämpft. Schreckliche, blutige Kriege zwischen Muslimen und Christen führten zu unzähligen Toten und schickten Hunderttausende auf die Flucht in Wüstengebiete, wo sie Tieren die Kehle durchschneiden müssen, um etwas zu trinken zu haben und nicht zu verdursten.
Manchmal wurden diese Kriege im Namen Gottes geführt, manchmal im Namen Allahs. In anderen Teilen Afrikas könnten Millionen Menschenleben gerettet werden, wenn man nicht nur Lebensmittel, sondern auch die Mittel zur Geburtenkontrolle liefern würde, aber dabei machen die Herren in Rom nicht mit.
Pater Michael hat nicht den Glauben an Gott verloren, aber ganz sicher den an die Kirche – genauer gesagt, an die reaktionären alten Männer, die die Kirche leiten, als wäre sie ein Countryclub des 12. Jahrhunderts. Sie beschützen Frauenhasser, die sich völlig von der Wirklichkeit entfernten. Sie fördern mit ihrer Politik den Hungertod von Millionen von Säuglingen und behandeln Frauen als Menschen zweiter Klasse, indem sie den primären Wert der Frau in ihrer Gebärfunktion sehen. Es sind die Männer, die ein halbes Jahrhundert brauchten, um zuzugeben, dass das Schweigen der Kirche zum Holocaust ein schwerer Fehler war. Es sind die Männer, die seit Jahrhunderten leugnen, dass die Ermordung von Millionen Menschen während der Inquisition ein Verbrechen war. Und es tröstet Pater Michael nicht, wenn er hört, dass der Vatikan ein dreitägiges Symposium veranstaltet, um über diese einstigen Sünden der römisch-katholischen Kirche zu diskutieren. Er fände es nützlicher, wenn man im Vatikan den jetzigen Zustand der Kirche unter die Lupe nehmen würde.
Umgeben von so viel Tod und durch die Selbstsucht von Regierungen, Militär und seiner eigenen Kirche zum hilflosen Zuschauer degradiert, gelangt Pater Michael zu der Überzeugung, dass sich in seiner Welt nichts ändern wird, wenn er es nicht selbst ändert. Weil er nichts gegen die größeren Probleme tun kann, verlegt er sich auf die kleineren. Wenn er nur für ein einziges Kind etwas Nahrung und sauberes Wasser beschaffen
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