Mea culpa
waren frisch gewaschen gewesen, und Synne hatte fünf Kilo abgenommen gehabt. Rebecca hatte sich ungeheuer gefreut, es hatte aber auch eine Woche Arbeit darin gesteckt.
Wenn Christian Schultz den Brief kannte, den Synne Rebecca zu ihrem vierundvierzigsten Geburtstag geschrieben hatte, dann wusste er alles. In der Regel hatte Synne sich recht vage ausgedrückt, sie hatte die Codes verwandt, die Liebende in aller Welt benutzen, die nur für die verständlich sind, die den Schlüssel besitzen. Aber bei diesem Brief hier war alles anders. Er war so direkt, wie das überhaupt nur möglich war. Streng genommen war er außerdem – und für sie ganz untypisch – erotisch, und als Synne das gedacht hatte, errötete sie.
»Was zum Teufel ist das für ein Kerl, mit dem du da verheiratet bist?«
Jetzt fluchte sie schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten. Ehe sie Rebecca kennen gelernt hatte, hatte sie mit Schimpfwörtern nur so um sich geworfen. Rebecca hatte Synne langsam, und mit einem unmerklichen mütterlichen Gespür für Erziehung, die schlimmsten sprachlichen Unsitten abgewöhnt.
»Was zum Henker ist das für ein Wichser, der seine eigene Frau bespitzelt? Das ist doch, das ist doch …«
Synne gab sich alle Mühe, herauszufinden, was das war, alles zu durchsuchen, was einem anderen Menschen gehörte, alle Kleider, alle Taschen und sogar den armen kleinen Rahmen, der über dem Bett hing, ohne auch nur einer Fliege etwas zu Leide zu tun.
»Das ist eine verdammte Verletzung der Privatsphäre, jawohl. Eine Scheißkränkung der Privatsphäre. Deiner persönlichen Privatsphäre!«
Etwas Besseres wollte ihr einfach nicht einfallen.
»Und was hast du gesagt?«
Synne stand verloren im Zimmer, kratzte sich am Kopf und fuchtelte mit der anderen Hand in der Luft herum.
»Was hast du denn zu all dem gesagt?«
»Ich habe alles bestätigt. Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich …«
»Du hast was getan?«
Synne ließ sich auf ihren Koffer fallen – der lag auf einem Hocker und war gefüllt mit einem seligen Chaos aus Kleidungsstücken (Rebecca hatte ihren Koffer natürlich sofort nach ihrem Eintreffen ausgepackt; alles hing ordentlich in den Schränken, und der Koffer war unter ihrer Hälfte des Doppelbettes verstaut) – und stieß ihn dabei herunter. Der Hocker zerbrach, und der Koffer krachte zu Boden. Die Schweden verstummten, und Rebecca – die immer vernünftige Rebecca – ging ruhig zur Balkontür und zog sie zu.
»Wie bist du nur auf diese Idee gekommen? Und dann auch noch, wo wir gerade hier sind!«
Darauf hatte sie doch nur gewartet. Das war die endgültige Bestätigung, von der sie phantasiert hatte: dass Christian alles erfuhr, dass der Sturm losbrach, der Große Orkan, der Wind, der alle Geheimnisse und alle Lügen davontragen und Rebecca für immer zu Synne wehen sollte. Darauf hatte sie gewartet, hatte darauf gehofft, hatte zwei lange Jahre darum gebetet. Alles, was gewesen war, und alles, was war, alles in Synnes ganzer Welt baute auf der Gewissheit auf, dass dieser Augenblick irgendwann kommen müsste. Aber jetzt, wo es passiert war, erkannte sie, dass alles zerbrechen würde. Alles. Das war nicht das, worauf sie gehofft hatte. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Haut schrumpfte.
Rebecca ergriff ihr Handgelenk und zog sie vom Boden hoch. Dann setzte sie sich neben Synne aufs Bett, das ächzte und quietschte, und legte die Hände in den Schoß. Ihre Schultern waren endlose fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt. Rebecca hatte die Heimreise schon angetreten.
»Als ich begriff, was passiert war, habe ich einen Entschluss gefasst«, flüsterte sie. »Ich darf nicht mehr lügen.«
Sie setzte sich noch ein wenig aufrechter und hob das Kinn. Ihre Augen waren schwärzer denn je, das Weiße war beim Weinen verschwunden, ihre Augen schienen in ihren Kopf gesunken zu sein und nur einen Leerraum hinterlassen zu haben.
»Ich habe keine Ahnung, was nun passieren wird. Aber auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass ich nie wieder lügen werde. Nie wieder. Ich habe für den Rest meines Lebens mehr als genug gelogen.«
»Aber … aber was machen wir denn nun? Ich meine, jetzt?«
»Ich kann Christian verstehen.«
Sie schien mit sich selbst zu sprechen, als sei Synne nur die zufällige Zeugin eines Monologs.
»Ich kann verstehen, dass er meine Sachen durchsucht hat. Ich kann verstehen, dass er am Telefon wütend war. Er hat entsetzliche Dinge gesagt. Hat mich eine … Ich kann es verstehen. Alles. Kann es
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