Mea culpa
griff und ihr deutliches »Hallo« über Tausende Kilometer Luft nach Hause zu dem Mann schickte, den sie so eindeutig betrog.
Der Ausdruck »das Herz schlägt im Hals« gewann für Synne in diesem Moment eine neue und konkrete Bedeutung. Es hämmerte wie besessen irgendwo unter ihrem Kehlkopf; sie schluckte und schluckte, aber irgend etwas drängte durch ihre Speiseröhre nach oben, das Herz selbst schien jeden Moment aus ihrem Mund fliegen und vor ihr landen zu können, auf dem Boden mit den grob behauenen Steinfliesen. Aus alter Gewohnheit überließ sie Rebecca sich selbst, man muss ungestört telefonieren können, das hatte sie schon als Kind gelernt, aber sie konnte sich fast nicht beherrschen, sie trat von einem Fuß auf den anderen und sah vermutlich so aus, als müsse sie dringend aufs Klo.
Das Gespräch dauerte nicht lange. Rebecca sagte fast nichts, und wenn sie etwas sagte, dann kehrte sie Synne den Rücken zu und sprach zu dem schwarzen Apparat, als sei der ihr eigentlicher Gesprächspartner. Nur ein leichtes Beben ihrer Schulter verriet, dass sie hier wirklich ein Gespräch führte.
Synne musste sich setzen.
Plötzlich legte Rebecca den Hörer auf, und Synne sprang auf. Sie schwankte. Rebecca bezahlte das Gespräch und kam auf sie zu. Ein schwaches, freudloses Lächeln verriet eine Form von Erleichterung, und Synne konnte wieder atmen.
»Den Kindern geht es gut«, sagte Rebecca leise.
»Aber was ist denn dann los?«, fragte Synne und wollte Rebecca aufhalten, doch die verließ schon die Rezeption.
»Rebecca! Was ist denn, zum Teufel? Was wollte er?«
» Gott sei Dank geht es den Kindern gut«, flüsterte Rebecca. »Ich hatte solche Angst.«
Für einen kurzen Moment blieb sie stehen, senkte den Kopf, legte Daumen und Zeigefinger an ihre Augen und drückte zu. Dann schüttelte sie sich, blitzschnell, wie ein Hund nach einem raschen Bad, und ging weiter.
»Aber was ist denn los?«
Rebecca gab noch immer keine Antwort, sondern machte sich mit ihrem Schlüssel an der Tür zu schaffen, um sie aufzuschließen, und schließlich fiel er ihr auf den Boden. Da schlug sie die Hände vors Gesicht, und Synne las den verdammten Schlüssel auf – mit seinem hässlichen Messinggriff wog er mindestens ein Kilo – und öffnete die Zimmertür. Rebecca setzte sich auf die Bettkante, auf den äußersten Rand, mit zusammengehaltenen Beinen, wie eine Königin oder ein Mannequin, und ihr Rücken war gerade wie ein Lineal, ihr Kopf dagegen gesenkt, das Gesicht noch immer von ihren Händen verdeckt.
Rebecca weinte fast nie. Synne sah sie erst zum vierten Mal weinen, sie merkte sich solche Zahlen, und es war ein Mittwoch. Es war fünf vor vier am Nachmittag, und auf dem Nachbarbalkon waren drei sternhagelvolle Schweden zu hören, für die der Zeitpunkt wenig Bedeutung zu haben schien.
»Kannst du denn nicht sagen, was los ist?«
Synne ging vor ihr in die Hocke und versuchte, ihr die Hände vom Gesicht zu ziehen.
Das war unmöglich.
»Ich hatte so entsetzliche Angst«, schluchzte Rebecca. »Hier bin ich, und … die Kinder …«
Sie schluchzte jetzt wirklich. Doch endlich ließ sie die Hände sinken und sah Synne an.
Sie sah sie wirklich an. Synne merkte, wie sich ihr auf den Armen und im Nacken die Haare sträubten, und auch auf dem Kopf richteten sie sich im wahrsten Sinne des Wortes auf.
»Er weiß von uns«, sagte Rebecca, fast unhörbar, wie ein leiser Windhauch, ganz unmerklich. »Er weiß, dass wir ein Verhältnis haben.«
Synne kippte nach hinten um.
»Aber woher in aller Welt …?«
»Er hat meine Sachen durchsucht. Da gibt es jedoch nichts. Ich habe jeden einzelnen Brief verbrannt, jeden Zettel, nichts, nichts habe ich behalten.«
»Aber dann … wie … es kann doch nicht …«
»Eines der Sonette. Das achtzehnte. Du hattest es so schön abgeschrieben, noch dazu mit verschiedenen Farben. Es war so prachtvoll, du hattest dir solche Mühe gegeben, das konnte ich sehen, und ich … ich habe es eingerahmt. Einfach in so einen billigen Rahmen, weißt du. Ich habe gesagt, ich hätte es auf der Straße gekauft. Er hat den Rahmen auseinander genommen.«
Synnes Kopf schmerzte nach der Begegnung mit der Wand.
»Zwischen Sonett und Pappe lag der Brief, den ich zum Geburtstag bekommen habe.«
Der Geburtstagsbrief. Der Brief, den Synne ihr zum vierundvierzigsten Geburtstag geschrieben hatte. Rebecca hatte sich so darüber gefreut, er war eines Morgens vor der Arbeit überreicht worden; die Straßen
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