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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Hörer auf die Gabel zu knallen, diese Tirade zu unterbrechen, ihn auszuschließen, ihn seinen Hass anderswo ergießen zu lassen, nicht in ihr Ohr, nicht in ihr Bett – während sie das alles zuließ, wusste sie schon, dass das zwei Gründe hatte: Er war in diesem Moment die einzige Verbindung zu Rebecca, und außerdem hatte er Recht.
    Sie wurde nicht einmal böse. Sie empfand eher eine Art Trauer. Oder vielleicht wäre Ohnmacht der passendere Begriff für ihren Zustand in diesem Moment gewesen. Als sie dort in ihrem ungemachten Bett saß, mit fusselnden Wollpantoffeln und einem wehen, blutig genagten Daumennagel, suchte sie nach Worten für das Gefühl, das sie erfüllte. Sie suchte nach Schuldgefühl. Sie wusste, dass es vorhanden sein musste, und sie ließ ihn diesen grotesken Tanz um seinen eigenen Hass aufführen, weil sie wusste, dass das sein Recht war. Verstandesmäßig wusste sie das. Doch sie verspürte keine Schuld, und der Mann tat ihr nicht einmal Leid. Als ihr diese entsetzliche Tatsache endlich aufgegangen war, überwältigte sie die Scham. Aber jetzt war er fertig.
    Er atmete schwer und lange. Synne machte keinen Versuch, diese peinliche Pause zu füllen. Schließlich redete er weiter, doch jetzt war die Zeit für Fragen gekommen. Für harte, im Stakkato abgefeuerte Fragen.
    »Was hast du jetzt vor?«
    »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht.«
    »Wirst du Rebecca weiterhin … sehen?«
    »Das muss Rebecca entscheiden. So, wie sie sich in den letzten Tagen verhalten hat, scheint sie keinen Kontakt zu mir zu wünschen.«
    »Ich sag dir eins. Ich sag dir nur eins! Wenn du dich weiter mit meiner Frau triffst, dann werde ich dafür sorgen, dass sie ihre Kinder kaum jemals wieder sieht. Kaum jemals! Ist das klar? Ist das klar? «
    »Ich höre jedenfalls, was du sagst.«
    Dann knallte er den Hörer auf die Gabel.
    Synne blieb sitzen und starrte das Telefon an, bis sie die Türklingel hörte. Das muss viel später gewesen sein, sehr viel später. Plötzlich stand sie da. Eine Rebecca, die Synne kaum wiedererkannte.
    Sie sah entsetzlich aus. Ihre Augen waren geschwollen, klebten fast zusammen, ihr Mund bebte, ihre Hände ebenfalls, die ganze Frau zitterte, wie eine Greisin, und sie sah auch unendlich alt aus. Synne streckte die Arme aus, hilflos, einladend, flehend, das hier konnte sie nicht mit ansehen, es musste doch etwas zu machen sein, und sie wollte sie berühren, ihren Kopf streicheln, sie an sich drücken und liebe Worte flüstern, aber Rebecca wich zurück.
    »Ich wollte nur das hier abliefern«, sagte sie, und ihre Stimme stammte aus einer ganz anderen Welt.
    Von einem ganz anderen Planeten.
    Dann reichte sie Synne einen Brief, einen großen weißen Briefumschlag, und auf dem Umschlag lagen die Wohnungsschlüssel, in dem teuren Futteral aus Schweinsleder, das Synne vor mehr als einer Ewigkeit gekauft hatte.
    Synne konnte den Brief nur annehmen, wie etwas, das offiziell überreicht wurde, eine Vorladung zum Prozess über ihr eigenes Leben. Und dann ging Rebecca wieder.
    Der Brief war der längste, den Rebecca ihr jemals geschrieben hatte, obwohl er ziemlich kurz war:
    Liebe Synne. (Nicht »geliebte« oder auch nur »liebste«, nur dieses neutrale, nichts sagende »liebe«, was für alle benutzt wird, für Fremde wie auch für Menschen, die wir eigentlich gar nicht leiden können …) Es war ein schreckliches Wochenende. Ich kann dir nicht alle Einzelheiten erzählen. Die Kinder waren außer sich, abgesehen von Henrik, der das alles nicht begreift und nur glücklich war, als ich auftauchte. Ich weiß nicht, wie viel Caroline und Martin mitbekommen haben, aber Benedicte weint nur, und sie behauptet, mich zu hassen. Ich habe versucht, die Wogen zu glätten, aber das ist mir nicht gelungen. Bisher jedenfalls noch nicht. Als ich die Kinder mitnehmen wollte, hat Christian das verweigert. Er hat mich daran gehindert, sie mitzunehmen. Als ich sie ins Auto setzen wollte, hat er mich mit Gewalt daran gehindert. Also ging das nicht. Seither bin ich ganz allein zu Hause.
    Du hast dich immer gefragt, was ich in dir sehe. Du begreifst nicht, dass ich die bedingungslose Art liebe, in der du mich in die Arme nimmst. Ich bin immer an meinen Leistungen gemessen worden. Jeder Schritt, den ich mache, ist durchdacht, alles ist kreuz und quer vermessen worden, und ich habe Liebe erfahren, wenn ich sie verdient hatte. Du hast mir das Gefühl gegeben, bedingungslos zu lieben. Sogar wenn die großen schwarzen Löcher gekommen

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