Meade Glenn
in seine Wohnung zurückgekehrt war, zeigte sein Anrufbeantworter ein halbes Dutzend Anrufe an. Auf der Mailbox seines Handys waren vier Gespräche gespeichert und auf dem Pager genauso viele. Alle Anrufe waren von Tom Murphy. Collins wählte sofort die Handynummer seines Vorgesetzten. Murphy war nach dem ersten Klingeln am Apparat. »Tom, hier ist Jack Collins.«
Murphy seufzte. »Jack, ich hab den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen. Wo, zum Teufel, hast du gesteckt? Ich brauch dich sofort in meinem Büro.«
»Was ist los?«
»Darüber reden wir, wenn du hier bist.«
Collins spürte die Dringlichkeit in der Stimme seines Vorgesetzten und fragte sich, ob es etwas mit dem Vorfall in der Union Station zu tun hatte. Er warf Nikki, die in der Küche Kaffee kochte, einen Blick zu. Daniel schlief heute bei ihrer Mutter. Sie hatten geplant, den Abend gemeinsam zu verbringen. Entspannen und fernsehen standen auf dem Programm. »Bin schon unterwegs. Bis gleich.«
Nikki war enttäuscht. »Ein Notfall?«
Collins tat so, als nähme er die Sache auf die leichte Schulter.
»Bestimmt nichts Wichtiges, Nikki. Wahrscheinlich macht in der Zentrale mal wieder jemand aus einer Mücke einen Elefanten. Du weißt ja, wie so was ist. Auf jeden Fall muss ich hin.«
»Soll ich hier auf dich warten?«
»Es könnte eine Weile dauern. Ich möchte nicht, dass du die halbe Nacht wartest.«
Nikki war seit dem Besuch auf dem Friedhof besonders aufmerksam. Sie hatte sich ihre Enttäuschung über den Verlauf des Gesprächs nicht anmerken lassen und war während des Essens bei ihrer Mutter so vergnügt wie immer gewesen. Ihre Selbstlosigkeit machte ihm ein schlechtes Gewissen. »Tut mir echt Leid, Nikki.«
»Ach, kein Problem. Was sein muss, muss sein.« Trotz der fröhlichen Miene spürte er ihre Traurigkeit. »Du kannst mich ja später bei mir zu Hause anrufen, okay?«
»Versprochen.« Collins gab ihr einen Kuss und drückte sie an sich.
Sie hob lächelnd die Hand. »He, ich denke, du musst arbeiten.
Komm, ich bring dich zum Wagen.«
Paul Burton saß allein in einem Ledersessel im Westflügel und schaute gedankenverloren auf den dunklen Rasen vor dem Weißen Haus. Er hielt eine Pepsi-Dose in der Hand, die er aus einem Automaten im Untergeschoss gezogen hatte. In seinem Büro brannte nur eine Leselampe, die auf einem kleinen Beistelltisch stand. Burton genoss die kurze Ruhepause. Im Weißen Haus herrschte immer geschäftiges Treiben. Die cleversten College-Absolve nten Amerikas standen hier Schlange, um sich für einen Job oder ein Praktikum zu bewerben. Es machte sich gut im Lebenslauf, im Regierungssitz der bedeutendsten Hauptstadt auf Gottes Erde gedient zu haben.
Viele, die durch Washingtons Glanz und Macht angelockt wurden, dachten nie wirklich über die harten Anforderungen nach, die eine solche Karriere an sie stellen würde. Lange Arbeitstage und Wochenenden, an denen sie ihre Familien oder Freunde nicht sahen. Sogar die seltenen freien Abende konnten jederzeit abrupt beendet werden, weil man aufgrund einer Krise ins Weiße Haus gerufen wurde. Burton, der in Stanford studiert hatte und Marineoffizier gewesen war, hatte gewusst, was ihn erwartete, als er seinen Job als Berater des Präsidenten für innere Sicherheit angetreten hatte. In letzter Zeit hatte er dennoch das Gefühl, als spielte sich sein ganzes Leben nur noch im Weißen Haus ab.
Er hatte seine Familie seit Freitag nicht mehr gesehen. Seine Frau Sally und ihre beiden Söhne, Ben und Nathan, die fünf und sieben Jahre alt waren, verbrachten das Wochenende bei seinen Schwiegereltern in Connecticut. Nach der ersten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates heute Morgen hatte er sie angerufen und auf Sallys Handy-Mailbox die Nachricht hinterlassen, dass er bis zum Hals in Arbeit stecke und sie anrufe, sobald es möglich sei. Sally war diese Formulierung bekannt. Ihr Mann wusste wieder einmal nicht, wann er nach Hause kam, und sie durfte ihn nur in wirklich dringenden Fällen anrufen.
Burton seufzte lustlos. Er liebte seine Söhne. Die Freuden der Vaterschaft hatte er erst relativ spät im Alter von achtunddreißig Jahren kennen gelernt. Vorher hätte er sich niemals träumen lassen, welch ein großes Glück Kinder bedeuteten. An Wochenenden schlief er manchmal bei seinen Söhnen im Kinderzimmer und erzählte ihnen in der Dunkelheit Geschichten aus dem Märchenbuch oder aus seiner eigenen Kindheit, die sie immer wieder hören wollten. An seinem freien Tag am
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