Meade Glenn
fertig. Und ich glaube auch nicht, daß er uns dann bedroht hätte.«
»Warum wollte er uns Ihrer Meinung nach abschrecken?«
»Das weiß ich nicht, Erika. Nur Lubsch könnte uns das verraten. Ich wüßte gern, warum er uns gefragt hat, ob wir noch aus einem anderen Grund an Winter interessiert wären als dem, den wir ihm genannt haben.«
»Sie werden doch nicht noch einmal versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen, Joe?«
Er sah das Mädchen an und schüttelte den Kopf, bevor er den warmen Whisky trank und das Glas absetzte. Sein Mund schmerzte von der scharfen Flüssigkeit.
»Leute wie Lubsch warnen niemanden zweimal. Meist warnen sie gar nicht. Sollten wir versuchen, ihn noch einmal aufzuspüren, wird er genau das tun, was er gesagt hat.«
»Und was wollen wir jetzt unternehmen?«
Volkmann dachte einen Moment nach. »Ich möchte, daß Sie morgen früh in meine Wohnung fahren und dort auf mich warten. Ich gebe Ihnen einen Schlüssel. Nach allem, was passiert ist, sollten Sie Frankfurt lieber eine Zeitlang meiden.«
Er sah sie an. »Haben Sie einen Wagen?«
Sie nickte. »Ja. Er steht auf dem Parkplatz. Sind Sie sicher?
Ich meine, daß ich bei Ihnen bleiben soll?«
»Nur zu Ihrer eigenen Sicherheit, Erika. Falls Lubsch Kontakt zu Winters Freunden hat, ist es besser so.«
Die junge Frau schwieg eine Weile und stand dann auf.
»Soll ich noch mehr Eis holen?«
Volkmann schüttelte den Kopf. »Nein, aber noch ein Glas wäre nicht schlecht.«
Sie nahm ihm den tropfnassen Lappen ab und schenkte das Glas voll. Volkmann sah ihr nach, wie sie in die Küche ging. Sie schien sich ein wenig beruhigt zu haben, wirkte aber noch blaß.
Der Vorfall mit Lubsch hatte seine Wirkung gezeigt, und die junge Frau hatte sein Angebot, bei ihm zu wohnen, nicht ausgeschlagen. Offenbar hatte sie wirklich Angst.
Er stand auf, trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Der Wind hatte sich gelegt, die Nacht war ruhig und klar. Die Boote bewegten sich langsam über den Main. Am anderen Flußufer trieb sich eine Gruppe Jugendlicher mit kahlrasierten Köpfen herum. Sie tranken Bier und schlenderten auf den Eisernen Steg zu. Ihr hartes, kehliges Grölen drang bis zu ihm hoch.
Erika hatte Abendessen gemacht und stellte anschließend das Radio an. Das Violinkonzert von Jean Sibelius drang leise aus den Lautsprechern. Sie saßen auf der Couch. Nachdem Erika ihm noch einen Drink eingegossen hatte, betrachtete sie ihn neugierig.
Bevor sie etwas sagte, strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als wollte sie ihre Verlegenheit überwinden. »Sie sind ein sehr merkwürdiger Mann, Joseph.«
»Inwiefern merkwürdig?«
»Ich habe das Gefühl, daß Ihnen nichts angst macht. Ich zittere immer noch nach dieser Begegnung mit Lubsch. Fürchten Sie sich denn vor gar nichts?«
»Vor den Dingen, vor denen die meisten anderen Menschen auch Angst haben.«
»Erzählen Sie mir etwas über sich, Joe.«
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Weiß nicht. Alles.« Erika lächelte. »Sie sind ein Fremder für mich, und trotzdem fühle ich mich bei Ihnen sicher.«
Volkmann nahm sein Glas vom Tisch. »Viel gibt es nicht zu erzählen.«
»Sind Sie verheiratet?«
»Geschieden.«
»Haben Sie Kinder?«
»Nein, keine Kinder, Erika.«
»Erzählen Sie mir von Ihrer Familie. In Ihrer Wohnung gab es eine Fotografie von Ihnen, darauf sind Sie noch ein kleiner Junge. Das Paar auf dem Foto, sind das Ihre Eltern?«
Volkmann antwortete nicht gleich. Erika hob ihr Glas und hielt es mit beiden Händen fest. Seine Zurückhaltung mißachtete sie einfach, und Volkmann vermutete, daß sie soviel redete, um ihre Nervosität unter Kontrolle zu bekommen.
»Haben Sie schon einmal von Cornwall gehört?«
»Ja. Es liegt im Südwesten Englands.«
»Das Foto wurde dort aufgenommen, am Meer. Dort haben meine Eltern den Sommer verbracht, als ich noch ein Kind war.«
»Was hat Ihr Vater gemacht?«
»Er war Dozent an der Universität.«
»Besuchen Sie ihn oft?«
»Er ist tot. Er ist vor sechs Monaten gestorben.«
»Das tut mir leid …« Erika schwieg. »Sie sehen ihm sehr ähnlich. Haben Sie nie versucht, in seine Fußstapfen zu treten?«
»Eine Zeitlang schon. Aber nach der Universität stellte ich fest, daß ich nicht zum Lehrer geboren war, und Büroarbeit langweilte mich. Also habe ich statt dessen des Königs Shilling genommen.«
»Des Königs Shilling? …«
Volkmann lächelte, was sofort von einem stechenden Schmerz am Kinn bestraft wurde. »Das ist so
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