Meade Glenn
an sie gerichtete Briefe, die Marken aus Paraguay trugen. Sie waren alle in Spanisch, außer ein paar Grüßen, die auf deutsch geschrieben worden waren, und sie stammten ausnahmslos von Rudi Herandez. Volkmann legte sie wieder zurück und durchsuchte die anderen Schubladen. Es gab noch einen Stapel Briefe, vermutlich von einem alten Freund. Sie waren letztes Jahr in Darmstadt abgestempelt worden.
Er sah unter der Matratze nach und stöberte zwei alte Tagebücher auf. Viele Seiten waren unleserlich, und die meisten Einträge nur Einkaufslisten oder Erinnerungen an eine Verabredung mit einer Freundin. Verweise auf Karen Hollfeld oder Gries fand Volkmann nicht, aber die Adressverzeichnisse am Ende der Tagebücher waren herausgerissen.
Auf dem obersten Regal im verspiegelten Kleiderschrank fand Volkmann zwei dünne Fotoalben. Eines enthielt fast ausschließlich Fotos aus Erika Kranz’ Kindheit, darunter Schnappschüsse von ihr, ihrer Mutter und Schwester, die offenbar in Argentinien aufgenommen worden waren: einige am Strand und andere auf dem Grundstück einer wohl sehr geräumigen Villa, vor deren weißen Wänden im Hintergrund Bougainvilleen wuchsen. Auf mehreren Fotos trug das Mädchen einen Bikini, und der winzige Badeanzug zeigte bereits knospende Brüste und ihre langen Beine.
Volkmann blätterte die Seiten um, und am Ende des ersten Albums entdeckte er eine alte Schwarzweißfotografie von einer Gruppe von Frauen und Männern. Sie saßen mit einer blonden Frau, bei der es sich eindeutig um Erikas Mutter handelte, um einen Pool und schlürften Drinks. Obwohl das Bild leicht unscharf und die Gesichter verzerrt waren, machten die Männer eher einen europäischen als spanischen Eindruck. Im zweiten Album fanden sich hauptsächlich Fotos von dem heranwachsenden Mädchen. Einige zeigten sie mit Freunden in Heidelberg, und auf einigen war sie mit Rudi Hernandez zu sehen. Eine Aufnahme war ein Abzug des gerahmten Bildes in Hernandez’ Wohnung.
Volkmann stellte die Alben wieder zurück. In ein paar Kisten fand er alten Schmuck und Tand, und auf dem Boden des Kleiderschranks einen Stapel mit alten Schallplatten und Musikcassetten. Er sah sie alle sorgfältig durch.
Dann überprüfte er die Garderobe auf der Kleiderstange und durchsuchte sämtliche Taschen, fand jedoch nichts Interessantes. Als er sich davon überzeugt hatte, daß alles wieder an seinem Platz war, nahm er sich das Bad vor. Hier gab es nur Parfums, Schminkutensilien sowie Pillen und Kräuter in kleinen Plastikflaschen.
Zu guter Letzt ging Volkmann in die Küche, spülte seine Kaffeetasse ab und hängte sie wieder an den Haken. Dann schlenderte er ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Er wußte, daß er erneut Kontakt mit Lubsch aufnehmen mußte, weil sich Borchardt als Sackgasse erwiesen hatte. Sonst kam er nicht weiter. Er blieb fünf Minuten sitzen, nahm dann das Branchen-buch vom Telefontisch und suchte die Adresse in Mainz.
Als er sie gefunden hatte, schrieb er sie auf, trat ans Bücherregal und nahm sich eine Karte von Rheinland-Pfalz heraus. Der Falk-Plan enthielt sogar den Stadtplan von Mainz, und Volkmann fand nach kurzer Suche die Straße, in der Karen Gries ihr Geschäft hatte.
Stockholm.
12. Dezember.
19.30 Uhr.
Das Restaurant lag etwa zehn Kilometer von Stockholm entfernt an der Küste. Es war ein gemütliches Lokal in der Nähe von Saltsjöbaden. Im Kamin des Gastraums loderte ein behagliches Holzfeuer, und es waren nur ein halbes Dutzend anderer Gäste da, die mit dem für Skandinavier typischen Respekt Schäffer und seinen Begleiter nicht weiter beachteten.
Das Essen ist wirklich hervorragend, dachte Schäffer, während er einen Bissen des köstlichen gebratenen Ostseeherings in den Mund steckte, kaute und mit einem Schluck eiskaltem Bier herunterspülte. Das einzig Traurige an der Zusammenkunft war sein Gegenüber.
Der Türke hatte kaum etwas gesagt. Er war groß und dünn und wirkte gehetzt. Er mußte Ende Zwanzig sein und hatte sein schwarzes, bereits ungewöhnlich dünnes Haar aus der Stirn zurückgekämmt. Sein schlechtsitzender Anzug wirkte billig. Der Türke war zwar ein gutaussehender Mann, runzelte jedoch immerfort die Stirn und musterte Schäffer mit ironischer Distanz. Sein Deutsch hingegen war ausgezeichnet – wenn er denn etwas sagte. Schäffer bemerkte die dicken rosa Narben auf den Handrücken.
»Ich nehme an, das Essen schmeckt Ihnen?« fragte er mit einem fragenden Blick.
Kerim Ozalid trank einen
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