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Meade Glenn

Meade Glenn

Titel: Meade Glenn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unternehmen Brandenburg
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Türke drehte sich unvermittelt um und ging auf der verschneiten Straße davon.
    Als der Türke das heruntergekommene Hochhaus in der Nähe des Skansenviertels in Stockholm erreichte, schneite es bereits wieder.
    Er fuhr mit dem quietschenden Lift in den achten Stock. Die Wände waren in Sprachen beschmiert, die er nicht verstand. In dem Wohnblock war es immer laut. Vor lauter Einwanderern platzte er fast aus allen Nähten. In jedem Stockwerk, an dem der Lift vorbeifuhr, drangen Fetzen Volksmusik aller Herren Länder an sein Ohr, und Kinder schrien unverständliche Worte.
    Den ›Turm von Babel‹ nannten die Bewohner das Gebäude, Afrikaner, Araber, Vietnamesen, Türken, Kurden-Flüchtlinge, die von einem besseren Leben geträumt hatten und feststellen mußten, daß sie ihre Würde gegen einen Alptraum eingetauscht hatten.
    Doch so schäbig das Gebäude sein mochte, man hatte einen wundervollen Ausblick auf Stockholm. Ozalid schaltete das Licht an, zog seinen Mantel aus und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Er trank einen Schluck und trat ans Fenster. Die Lichter in der Stadt und im Hafen funkelten durch den dichten Schneevorhang. Es war fast wie der Schnee, der im Winter auf die blauen Berge von Izmir fiel. Nur fiel der hier dichter und unaufhörlich. Ganz kurz gestattete der Türke sich einen Gedanken an zu Hause – an Layla.

Dann drängte er die Erinnerung zurück und zog Schäffers Umschlag aus der Tasche, riß ihn auf und betrachtete sorgfältig den Inhalt. Eine halbe Stunde später steckte er alles wieder zurück, schob den Umschlag in die Tasche und zündete sich eine türkische Zigarette aus einem Päckchen an, das auf dem zerkratzten Couchtisch aus Kiefernholz lag.
    Irgend etwas an dem Treffen beunruhigte ihn. Die ganze Sache bereitete ihm Kopfzerbrechen. Irgend etwas stimmte nicht ganz.
    Das hatte er von Anfang an gespürt.
    Er fühlte sich nicht wohl. Nicht wegen dem, was er tun würde, sondern wegen der Leute und dem Plan. Nagender Zweifel im Hinterkopf, der einfach nicht verschwinden wollte.
    Trotzdem hatte er das Angebot angenommen, denn er wollte unbedingt den Mann töten, der sein Leben mit soviel Trauer erfüllt hatte. Sollte er deshalb sein eigenes Leben verlieren, war das Allahs Wille. Dem mußte er sich beugen.
    Für Layla.
    Allah war mit ihm, das spürte er. Unwillkürlich musterte er die dicken rosa Narben, die in unregelmäßigen Zacken über seine Hände und Arme liefen, und mußte erneut an Layla denken: An die großen, braunen Augen, mit denen sie ihn angesehen hatte, an ihre Haut, so weiß wie Milch, an den Duft ihres Haares und den Geschmack ihres Atems auf seinen Lippen, der so süß war wie Honig. Er hatte sie das erste Mal vor all den Jahren in dem Bergdorf gesehen, in dem sein Vater lebte, ein junges, unschuldiges Mädchen mit nackten Füßen, das viel zu schön für ihn war.
    Er betrachtete das Foto, das auf dem Sims des kalten Kamins stand, und hätte am liebsten geweint, wieder geweint, ganz gleich, wie alt der Schmerz war. Lächelnde Layla.
    Wunderschöne Layla.
    Kerim trank das Glas aus und stellte es hin. Vergeblich versuchte er, die Erinnerungen zu vertreiben, die in ihm aufstiegen: Das Feuer, das ihm die Haut versengte, das sadistische Grinsen auf den Gesichtern der Männer mit den kahlgeschorenen Köpfen, die lachten, als das Feuer um ihre Opfer aufloderte. Und Layla, die wunderschöne Layla, deren Körper von ihrer Liebe so wohl gerundet war, daß sie sich kaum noch bewegen konnte.
    Nur der Haß trieb ihn dazu. Nur der Haß ließ ihn zum Mörder werden.
    Von seiner Zigarette fiel ihm Asche auf den schäbigen Anzug.
    Das lenkte ihn ab. Er streifte sie umsichtig ab und drückte die Zigarette aus, bevor ihm die Tränen kamen.
    Einige Minuten später rollte er den hellblauen, wollenen Gebetsteppich aus und legte ihn vor das Fenster.
    Nachdem er seine Gebete aufgesagt und auch für Layla gebetet hatte, rollte er den Teppich zusammen und küßte ihn, als würde er sie küssen. Danach legte er den Teppich auf das Regal neben dem Kamin.
    23. KAPITEL
    Mainz.
    Volkmann nahm die A66 Richtung Wiesbaden, überquerte den Rhein und kam kurz nach zehn Uhr morgens an.
    Er parkte seinen Wagen in der Nähe des Mainzer Doms in einer Tiefgarage, die rund um die Uhr geöffnet hatte, und marschierte zu Fuß zu Karen Gries’ Geschäft.
    Auf dem Marktplatz drängten sich die Weihnachtseinkäufer.
    Von der Hauptstraße ging ein Labyrinth von Gassen und Einkaufspassagen ab. Karen Gries’ Laden

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