Meade Glenn
hörbar.
»Als die Deutschen in das Sudetenland einmarschierten, ist die Familie meines Vaters nach Polen gezogen, in ein kleines Dorf in der Nähe von Krakau. Mein Vater, seine Eltern und seine beiden jüngeren Schwestern. Dann brach der Krieg aus, und es war dort nicht mehr sicher. Die Einsatzgruppen streiften durch die Dörfer, trieben die Menschen zusammen und töteten alle Juden. Es waren Spezialeinheiten, mobile Mordkommandos, die die Nazis einsetzten, bevor sie die Konzentrationslager fertig gebaut hatten. Eines Tages gingen die Eltern meines Vaters los, um Essen zu holen. Sie kamen nie zurück, und mein Vater hat sie niemals wiedergesehen. Damals war er vierzehn. Die beiden Mädchen waren zehn und acht Jahre alt. Als seine Eltern nach fünf Tagen immer noch nicht zurückgekommen waren, wurde ihm klar, daß ihnen etwas zugestoßen sein mußte. Er erfuhr im Dorf, daß diese Einsatzgruppen gekommen waren und sie verschleppt hatten. Daraufhin beschloß er, den Versuch zu wagen, sich über die Hohe Tatra nach Budapest durchzuschlagen, wo seine Mutter Verwandte hatte. Er besorgte etwas Verpflegung und zog den beiden Mädchen warme Kleidung an, dann brachen sie auf.
Am dritten Tag erreichten sie die Grenze. Eines der Mörderkommandos fing sie ab. Sie schleppten sie mit anderen Juden auf eine Waldlichtung und ließen sie vor einer flachen Grube Aufstellung nehmen. Mein Vater wußte, was passieren würde. Alle wußten es. Seine Schwestern zitterten und weinten, wie er auch. Mein Vater flehte einen der SS-Männer an, die kleinen Mädchen am Leben zu lassen.
Sie holten meinen Vater aus der Reihe, beschimpften ihn als lausigen kleinen Juden und zwangen ihn mit anzusehen, wie sie die kleinen Mädchen auszogen und vor seinen Augen vergewaltigten. Anschließend warfen sie die Mädchen in die Grube und erschossen sie.
Meinen Vater ließen sie vor der Grube auf die Knie gehen. Die Männer waren betrunken. Ein Offizier schoß meinem Vater ins Gesicht, aber die Kugel tötete ihn nicht. Mein Vater fiel in die Grube zwischen seine Schwestern und stellte sich tot. Als die Deutschen ihre Arbeit beendet hatten, bedeckten sie die Leichen mit etwas Lehm und gingen.
Mein Vater lag da, blutend, und war zu entsetzt, um sich zu bewegen. Er konnte kaum atmen. Als es dunkel wurde, gelang es ihm, sich von den Leichen zu befreien und aus der Grube zu klettern. Er verscharrte die Leichen seiner Schwestern und irrte tagelang mit der Kugel im Kopf durch die Berge. Diesmal schaffte er es bis nach Budapest und zu seinen Verwandten.
Doch dann kamen die Deutschen auch dorthin. Die Verwandten wurden verschleppt und mein Vater bei einer Hetzjagd auf Juden gefangengenommen. Sie deportierten ihn erst nach Dachau und dann nach Bergen-Belsen. Die anderen starben im Gas. Mein Vater überlebte, aber er konnte niemals vergessen, was seinen beiden kleinen Schwestern geschehen war.«
Schweigend lag er in er Dunkelheit und hörte die Frau neben sich atmen. Er wußte nicht, ob sie weinte, und er sagte nichts und machte auch sonst kein Geräusch. Der Schmerz war schon zu lange in ihm, daß ihn keine Tränen mehr lindern konnten.
Das einzige, was ihm blieb, war der Gedanke an seinen Vater.
Das Schweigen in der Dunkelheit schien ewig zu währen, und es dauerte sehr lange, bis sie ihre Hand ausstreckte und sein Gesicht berührte. Aber es kam kein Laut über ihre Lippen.
VIERTER TEIL
28. KAPITEL
Asunción.
Sonntag, 18. Dezember.
14.45 Uhr.
Dicke, saftige Steaks und fette Würstchen brutzelten auf dem Holzkohlengrill, und der Garten war von der Sonne überflutet.
Vellares Sanchez betrachtete die Fleischstücke ohne jeden Appetit, spießte eins mit der Gabel auf und drehte es um, so daß die blutige, rosa Unterseite oben lag. So viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf und kreisten doch nur um ein einziges Thema.
Das Gesicht von Rudi Hernandez tauchte vor seinen Augen auf, die Leiche auf dem Tisch in der Gerichtsmedizin, das weiße Tuch von dem geschundenen Körper zurückgezogen.
Sanchez verzog das Gesicht, riß den Blick von dem unappetitlichen, brutzelnden Fleisch los und ließ ihn durch den sonnigen Garten schweifen. Überall standen Nachbarn, Freunde und Verwandte in Grüppchen zusammen, plauderten und hielten Drinks in den Händen. Es war ein besonderer Tag. Maria, seine jüngste Tochter, feierte ihre Kommunion.
Unschuldige Mädchen in weißen Kommunionskleidern und Jungen in schlechtsitzenden blauen Anzügen schlürften Limonade, stopften sich
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