Meade Glenn
Zimmer noch einmal durchsucht. Von oben bis unten. Nur für den Fall, daß wir etwas übersehen hätten.«
Cavales hielt inne. »Haben wir auch.«
Sanchez sah ihn erstaunt an. »Und was?«
»Fotos. Jeder hat welche. Alben. Mit Fotos von Freunden.
Bekannten. Verwandten.«
Sanchez schüttelte den Kopf. »Es gab keine, daran erinnere ich mich noch ganz genau. Bis auf ein Foto von Tscharkin selbst.
Auf einer Kommode im Schlafzimmer.«
»Genau das meine ich. Es gab keine anderen Fotos außer dem im Schlafzimmer«, sagte Cavales ruhig. »Alte Leute haben Fotos. Immer.«
Sanchez grinste. Der Mann war wirklich scharfsinnig.
»Weiter.«
»Ich habe Tscharkins Butler noch mal in die Mangel genommen. Ihm war sichtlich unwohl, als ich die Fotos erwähnte. Unwohler als damals, bei unserem letzten Gespräch darüber. Als hätte er was zu verbergen.«
»Und? Hatte er?«
»Und ob.« Der Kriminalbeamte blickte aus dem Fenster und betrachtete die Szene auf dem Rasen. »Ich habe ihm gesagt, wenn er etwas wüßte und uns nicht erzählt hätte, könnte er viel Ärger bekommen. Dann sagte ich, daß ich ihn mit aufs Revier nehmen wollte. Der alte Knabe wurde richtig aufgeregt und meinte, er habe nichts Schlimmes getan.«
»Aber was hatte er denn getan?«
»Er sagte, am Tag nach Tscharkins Selbstmord, noch bevor wir das Anwesen sorgfältig durchsucht hätten, wäre ein Mann gekommen. Ein Bekannter von Tscharkin, der ihn gelegentlich besucht hätte. Der Butler hält ihn für einen Geschäftsfreund. Er fragte, was die Polizei gemacht hätte, und wollte wissen, ob Tscharkin irgendwelche Unterlagen zurückgelassen hätte. Als der Butler die Frage verneinte, meinte er, daß er trotzdem noch einmal nachsehen wollte, für alle Fälle. Der Butler protestierte, doch der Mann hat ihn überzeugt, daß er besser kooperieren sollte.«
»Indem er den Butler bedrohte?«
Cavales zuckte mit den Schultern. »Eher Andeutungen, weniger echte Drohungen.«
»Und weiter?«
»Der Mann hat das Haus sehr gründlich durchsucht und einige Fotoalben mitgenommen, die Tscharkin besaß.«
»Und?«
»Das ist alles. Er hat dem Butler eingeschärft zu behaupten, daß niemand dagewesen wäre und nichts fehlte.«
Sanchez seufzte und blies den Rauch aus. Er setzte sich auf einen Stuhl am Fenster. »Haben Sie den Namen des Kerls rausgekriegt?«
Cavales nickte und lächelte. »Nach freundlicher Über-zeugungsarbeit.«
»Wie lautet er?«
»Franz Lieber.«
»Wer ist das?«
»Wir wissen bis jetzt nur, daß es ein Bekannter von Tscharkin gewesen ist. Aber der Name ist offensichtlich deutsch.«
Sanchez betrachtete den sonnigen Garten und seine fröhlichen Gäste. Maria verglich gerade ihr Kleid mit dem eines anderen Mädchens. Seine Gattin stand in einer Gruppe von Freundinnen und lachte. Er liebte seine Frau, liebte sie bis zur Raserei. Schon oft hatte er sich gewünscht, er wäre kein Polizist und hätte einen anderen Beruf gewählt, damit er mehr Zeit mit ihr und Maria verbringen konnte.
Er wandte sich wieder an Cavales. »Geben Sie mir eine Stunde. Wir treffen uns im Büro. Ich will Liebers Adresse und alles, was wir rauskriegen können.«
»Das habe ich schon veranlaßt. Zwei Leute von der Tagschicht arbeiten daran.«
Sanchez nickte. »Eine Stunde.«
Cavales verschwand, ohne sein Bier auszutrinken, und Sanchez trat näher ans Fenster.
Das Lachen der Leute drang durch die Scheibe zu ihm. Es war ein herrlicher, sonniger Tag, den man genießen sollte. Es paßte Rosaria sicher nicht, wenn er ging, aber er hatte einen Job zu erledigen. Er sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde noch, dann würde er ins Büro fahren.
Er drückte die Zigarette aus und ging wieder hinaus zu seinen Gästen.
16.35 Uhr.
Das Bordell befand sich in der Nähe des Bahnhofs und der Plaza Uruguaya.
Im Kontrast zu seinem schäbigen Äußeren war es innen verschwenderisch eingerichtet. Die Wände zierte leuchtendblauer Stuck, und die Baumwollvorhänge waren bedruckt und teuer.
Die Betten waren mit Seidenlaken bezogen, und unter heißen Duschen konnten die Gäste ihre verschwitzten, befriedigten Körper reinigen. Die kleinen Separees waren elegant und mit viel Gespür für den erlesenen Kunden eingerichtet.
Die Mädchen waren ebenfalls sehr attraktiv und genossen den Ruf, die hübschesten in ganz Asunción zu sein; mit Sicherheit waren sie die teuersten.
Lieber hatte sich für ein Mädchen entschieden, das kaum älter als fünfzehn war. Sein Gefährte bevorzugte eine etwas reifere
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