Meade Glenn
ausgebreitetes Haar. Lange blieb er dort stehen und bewunderte ihre Schönheit.
Sie hatte recht: Er vertraute niemandem. Trotzdem fragte er sich, ob er ihr gegenüber nicht zu hart und zu mißtrauisch gewesen war. Und der Grund, aus dem er nicht mit ihr schlafen wollte, war genau der, den sie vermutete: Er fühlte sich sowohl körperlich als auch emotional zu ihr hingezogen, obwohl sein Mißtrauen ihn bisher zurückgehalten hatte. Ihn schreckte tatsächlich der Gedanke ab, was Menschen wie ihr Vater seinem Vater angetan hatten. Und wie sollte das auch anders sein? Er hatte seinen Vater geliebt, aber er hatte keine Möglichkeit besessen, die Schmerzen zu tilgen, die den alten Mann geplagt hatten. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, es den Verbrechern heimzuzahlen, die ihm soviel Leid aufgebürdet hatten, so hätte er es schon längst getan.
Eine Autohupe riß ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er warf einen letzten Blick auf das schlafende Gesicht des Mädchens, bevor er die Nachttischlampe ausschaltete und die Vorhänge zurückzog. Von ihrem Fenster aus blickte man auf Straßburg, und die Lichter der Stadt leuchteten wie viele kleine Punkte in der Finsternis. Er dachte kurz an den Bericht aus Beaconsfield. Drei Stimmen, drei Männer. Ein winziger Anhalt, während sie im dunkeln tappten, aber die Dinge gingen noch immer viel zu langsam voran.
Sie werden alle getötet. Dieser Satz auf dem Band drängte sich in sein Gehirn.
Erneut rief er sich das gesamte Gespräch ins Gedächtnis zurück und versuchte sich noch einmal zu vergegenwärtigen, was er in den letzten Tagen herausgefunden hatte. Er versuchte, Fäden zu finden, die sich zu einem Knäuel verbanden, Stücke eines Puzzles zusammenzufügen, ein Muster zu entdecken. Es gab zwei verschiedene, aber vielleicht doch parallele Linien: Was jetzt passierte, und was in der Vergangenheit geschehen war. Diese Leute aus dem Haus im Chaco und die Dinge, die sie jetzt taten.
Tscharkin, Schmeltz, seine Vergangenheit, das Foto des jungen Mädchens, und wie all das mit der Gegenwart zu tun hatte.
Wie und warum hatten sie etwas miteinander zu tun?
Ob Sanchez Fortschritte gemacht hatte? Die beiden unter-schiedlichen Dialekte auf dem Band bestätigten, daß es eine Verbindung zwischen Paraguay und Europa gab. Aber wo war das Bindeglied? Und Lubschs Aussage hatte ihn tiefer beunruhigt, als er vor der jungen Frau zugegeben hatte.
Trotzdem tappte er im dunkeln.
Volkmann hörte das Rascheln von Laken und drehte sich um.
Erika hatte sich aufgesetzt und sah ihn verschlafen an. Es war dämmrig durch das Licht, das durch das Fenster ins Zimmer fiel.
Sie zuckte zusammen, bevor sie ihn ansprach.
»Joe?«
»Ja, ich bin es. Schlafen Sie weiter.«
In dem Augenblick sah sie sehr jung und unschuldig aus, wie ein Kind, das aus dem Schlaf gerissen wurde. Und als er sie betrachtete, wie sie in dem fahlen Licht dasaß und ihn ansah, wurde ihm klar, wie sehr er sie begehrte.
»Einiges von dem, was ich gesagt habe … tut mir leid, Joe.
Können Sie mir verzeihen?«
Ihre Stimme klang heiser von Schlaf, und er roch den Duft ihres Körpers, als er zu ihr ging, sich neben sie auf den Rand des Bettes setzte und sie anblickte.
»Vielleicht war es auch meine Schuld. Möglicherweise stimmte es ja, was Sie gesagt haben.«
»Dann werden Sie etwas für mich tun?«
»Was denn?«
»Versuchen Sie, mir zu vertrauen. Joe.«
Er legte ihr die Hand auf das Gesicht. Sie schmiegte ihre Wange in seine Handfläche und küßte seine Finger.
Plötzlich schien alles so natürlich zu geschehen. Sie zog ihn zu sich herunter und küßte ihn. Er legte die Hand auf ihre Brüste, und als er sich auf das Bett legte, zog sie ihn schon heftig über sich, küßte seinen Hals und sein Gesicht, zerrte an seiner Kleidung und fuhr mit den Fingernägeln über die empfindliche Haut auf seinem Rücken.
Ihr Liebesspiel hatte etwas Wildes, das Volkmann überrum-pelte, als befänden sie sich beide im Griff einer unkontrollier-baren Raserei. Als sie schließlich ermattet nebeneinandersanken, waren sie in Schweiß gebadet.
Sie lagen beide schweigend da. Der Kopf der jungen Frau ruhte auf Volkmanns Brust.
»Erzähl mir von deinem Vater, Joe«, drang ihre Stimme schließlich durch die Dunkelheit. »Erzähl mir, was mit ihm passiert ist.«
»Warum willst du das wissen?«
»Weil ich alles über dich wissen will.«
Er sah zur Seite, in die Finsternis, ins Nichts, und als er endlich anfing zu sprechen, war seine Stimme kaum
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