Meade Glenn
hatte keine Laster und keinerlei Vorstrafen. Die Frau hat nicht mal ein Strafmandat wegen Falschparkens bekommen. Sie war eine sehr respektable Dame, die sich in der Gemeindearbeit und in der Kirche engagierte.« Steiner machte eine kurze Pause, um an seinem Zigarillo zu ziehen. »Und noch etwas ist seltsam. Wir haben ihren Wagen im nahegelegenen Wald gefunden. Es war fast so, als wäre sie zu einem geheimen Treffen gefahren. Aber ihre Familie wußte nichts von einer Verabredung.«
Volkmann kritzelte hastig einige Notizen in sein Buch.
»War sie politisch aktiv?«
Steiner sah ihn erstaunt an. »Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf?«
»Einfach so. Ich versuche, mir ein Bild von der Dame zu machen. Wie gut kannten Sie sie, Herr Steiner?«
Volkmann dachte einen Augenblick, daß der Beamte ihn zurechtweisen wollte, doch statt dessen lehnte Steiner sich auf seinem Stuhl zurück.
»Ziemlich gut.«
»Und gibt es etwas in ihrer Vergangenheit, was mir Ihrer Meinung nach vielleicht weiterhelfen könnte?«
Steiner zuckte mit den Schultern. »Ihr Ehemann war ein allseits respektierter Geschäftsmann. Er ist ungefähr seit zehn Jahren tot.«
»Und er? Hatte er eine kriminelle Vergangenheit?«
Steiner lachte und schüttelte den Kopf. »Der war so sauber wie ein Priester, ein guter, rechtschaffener Mann.«
»Wie ist er gestorben?«
»Wenn ich mich recht erinnere, an einem Herzinfarkt.«
»Und die Familie?«
»Alles rechtschaffene Leute. Wie gesagt, sie war eine gute Frau und sehr beliebt.« Er zuckte mit den Schultern. »Das einzige Szenario, das wir uns für den Mord denken können, ist, daß sie vielleicht einen Anhalter mitgenommen hat. Irgendeinen Verrückten, der sie dann beraubt und umgebracht hat. Das ist die einzige Theorie, die wenigstens einen geringen Sinn ergibt.«
»Gibt es Hinweise?«
Steiner zog an seinem Zigarillo und schüttelte den Kopf.
»Nichts. Keine Fingerabdrücke, keine Anhaltspunkte. Der Mörder war sehr vorsichtig und vielleicht ein Berufsverbrecher.
Gut möglich, daß er schon einmal getötet hat. Wir haben alles überprüft, Familie, Freunde, Bekannte – und nicht mal den Hauch eines Verdachtes ausgegraben.«
Volkmann sah auf die Uhr. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Steiner. Sie haben bestimmt viel zu tun, also will ich nicht mehr von Ihrer wertvollen Zeit beanspruchen als nötig.«
»Gern geschehen, Herr Volkmann. Schicken Sie mir eine Kopie Ihres Artikels?«
»Das mache ich ganz bestimmt.«
Es hatte aufgehört zu schneien, und ein kalter Wind blies über den Bodensee, als sie über die Strandpromenade spazierten.
Die junge Frau hatte sich bei ihm eingehängt, und sie setzten sich auf eine der Bänke, von denen aus man auf das Wasser hinausblicken konnte. »Es gibt keinen offensichtlichen Grund, warum Winters Leute diese Frau hätten töten sollen«, sagte sie.
»Sie hatte weder Beziehungen zu Terroristen noch eine kriminelle Vergangenheit.«
»Irgendeine Verbindung zwischen Rauscher, Hedda Pohl und Massow muß es geben, Erika. Wir sehen sie nur einfach nicht.«
»Und was jetzt?«
Volkmann schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, das könnte ich dir sagen.«
Erika schien etwas erwidern zu wollen, überlegte es sich jedoch anders. Dann schüttelte sie sich. Volkmann sah sie an.
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Wirklich nicht?«
Sie lächelte ihn an. »Mir ist einfach nur kalt. Laß uns zum Wagen zurückgehen, Joe.«
Volkmann stand auf und warf noch einen letzten Blick auf die grauen, schaumbedeckten Wellen des Bodensees. Ein kleines Boot mit einem blauen Segel schaukelte in der Dünung, und seine Besatzung versuchte, näher ans Ufer zu kommen.
Volkmann fand das Bild irgendwie passend. Er fühlte sich hoffnungslos verloren, und in dem Moment faßte er den Entschluß, mit Werner Bargel vom Landesamt für Verfassungsschutz in Berlin zu sprechen.
Der Verfassungsschutz erinnerte Volkmann an den britischen MI5 – er war dafür zuständig, Extremisten und Organisationen aller Schattierungen zu überwachen. Wahrscheinlich stellte der Verfassungsschutz die einzige Möglichkeit dar, mehr über Kesser und Winter zu erfahren. Wenn sich irgend etwas Bedeutsames im Leben der beiden Männer ereignet hatte, dann würde es in den Akten des Landesamtes stehen. Allerdings bestand die Gefahr, daß Bargel die Anfrage offiziell als Amtshilfeersuchen behandeln würde, aber Volkmann sah keinen anderen Ausweg. Ihm blieb nichts weiter übrig.
Ob Sanchez Fortschritte gemacht hat?
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