Meade Glenn
ging zu Fuß zum U-Bahnhof.
Die Sonne strahlte noch immer, und es war kalt und klar.
Kreuzberg erschien Volkmann als ein Labyrinth aus Durch-gangsstraßen, und er befolgte Massows Rat. Die Schilderungen des großen Mannes waren ihm etwas hysterisch vorgekommen, was zu einem engagierten Politiker paßte. Kreuzberg war schon vor dem letzten Krieg ein Arbeiterviertel gewesen, und die Ausländerwohnblocks, an denen er vorbeiging, wirkten heruntergekommen und schäbig.
In der Nähe der U-Bahn-Haltestelle kaufte er sich an einem türkischen Imbiß einen Döner und aß, während er auf die U-Bahn wartete. Die Wände des Bahnhofs waren mit rassistischen Slogans und ab und zu auch mit einem hastig hingeschmierten Hakenkreuz übersät.
Die Leute auf dem Bahnsteig hatten denselben gehetzten Ausdruck in ihren braunen Augen wie sein Vater, und einen Augenblick dachte Volkmann an die Gesichter auf den alten Schwarzweißfotos von den Ghettos in Warschau und Krakau.
Doch als der Zug einlief, schob Volkmann den Gedanken beiseite, wartete, bis die Türen aufglitten, und stieg ein.
In seinem Hotel wartete bereits eine Nachricht von Jakob Fischer auf ihn. Der Polizeibeamte hatte vor zehn Minuten angerufen und eine Nummer hinterlassen, unter der er ihn erreichen konnte. Als Volkmann anrief, ging Fischer an den Apparat.
»Ich hab’ das Mädchen gefunden, Joe.«
»Wo ist sie?«
»Noch in Berlin, aber sie ist jetzt eine Wessie. Ihre Adresse hab’ ich von einem Kollegen bei der Sitte. Sie wohnt mit einem Regisseur zusammen, der schmutzige Filme dreht.«
»Haben Sie die Telefonnummer, Jakob?«
»Sicher. Ich habe sie vor einer Weile angerufen. Sie will nichts zu dem Mord an Rauscher sagen. Ich habe ihr versichert, daß ich sie nur ungern auf die Wache holen würde, wo sie dann das ganze Brimborium noch mal über sich ergehen lassen müsse.
Wir würden sie nur kurz stören und einfach nur nett mit ihr plaudern wollen.«
»Was hat sie dazu gesagt?«
»Sie hat eingewilligt, mit uns zu reden, und wird gegen acht Uhr zu Hause sein. Ihr Freund ist heute unterwegs. Kann ich Sie gegen halb acht abholen?«
»Gern. Ich warte im Foyer.«
Die Wohnung lag im Süden von Berlin, in Friedenau. Als sie im dritten Stock aus dem Lift stiegen, drückte Fischer auf die Klingel.
Die Frau war etwa dreißig und hochgewachsen, hatte langes blondes Haar und sah sehr gut aus. Sie trug eine enge schwarze Skihose und hatte ihr weißes T-Shirt fest hineingesteckt, so daß sich ihre Brüste deutlich abzeichneten. Volkmann betrachtete sie interessiert, als sie die Tür hinter ihnen zumachte und ins Wohnzimmer vorausging.
Die Wohnung war modern eingerichtet, das Licht gedimmt.
An den Wänden hingen gerahmte, moderne Gemälde und zwei Kohlezeichnungen von einem nackten Pärchen in teuren Metallrahmen.
Jakob Fischer zeigte der Frau seinen Ausweis, aber sie warf kaum einen Blick darauf und beachtete Volkmann so gut wie gar nicht.
»Wie ich Ihnen am Telefon schon sagte, habe ich Ihren Kollegen alles erzählt, was ich weiß.«
»Das habe ich schon verstanden, Frau Worch, aber mein Kollege hier möchte Ihnen einige Fragen stellen. Wir werden Sie nicht lange belästigen.«
Volkmann sah sie an, und sie erwiderte gleichgültig seinen Blick. »Wie lange kannten Sie Herbert Rauscher, Frau Worch?«
»Zwei Jahre.«
Volkmann sah ihr in die Augen. »Haben Sie jemals den Namen Dieter Winter gehört?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher, daß Herbert Rauscher niemanden dieses Namens kannte?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Volkmann nannte auch die anderen Namen, aber die Frau schüttelte nur gleichgültig den Kopf. »Ich kannte weder seine Geschäftspartner noch seine Freunde, nur zwei Fotografen, die immer mal für ihn gearbeitet haben.«
»Und Sie haben nie gehört, wie er diese Namen erwähnte?«
»Nein.«
»Bitte, denken Sie scharf nach, Frau Worch.«
»Das habe ich schon. Ich kenne die Namen nicht.«
Sie sah ihn ungerührt an, und Volkmann vermutete, daß sie die Wahrheit sagte.
»Hat Rauscher sich bei irgendeiner politischen Gruppierung engagiert?«
»Was meinen Sie damit?«
»Hat er Ihnen gegenüber jemals seine politische Einstellung erwähnt?«
Sie runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. »Er sagte häufig, wie beschissen es war, unter den Sowjets zu leben.
Meinen Sie das?«
»Noch etwas anderes?«
Sie lächelte kurz, wurde dann aber wieder ernst. »Meistens hat er über Sex geredet. Oder wieviel Geld er scheffeln wollte.
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