Meade Glenn
die großen, dicken Rauchwolken der Kohlenfeuer, die in die kalte Luft aufstiegen. Das war das Budapest aus alter Zeit, die Stadt ihrer Kindheit.
Doch die alte Frau schwieg. Volkmann sah sie an und bemerkte, daß sie sich Tränen aus den Augen wischte. Er berührte sie sanft am Arm.
»Komm, sonst erkältest du dich noch.«
Da drehte sie den Kopf und ließ ihren Blick erneut über den weißen Park schweifen. Volkmann nahm ihren dünnen Arm, bevor die Melancholie sie überwältigte. Als er ihr Gesicht betrachtete, erinnerte er sich wieder an die junge Frau am Strand von Cornwall vor all den Jahren.
Sie blickte ihn an, und er bemerkte die Trauer in ihren feuchten, braunen Augen. »Ich vermisse ihn, Joseph. Ich vermisse ihn so sehr.«
Volkmann beugte sich zu ihr, nahm ihr runzliges Gesicht in beide Hände und küßte sie auf die Stirn.
»Wir vermissen ihn beide.«
6. KAPITEL
Asunción.
Freitag, 25. November
Die große Boeing 747 der Iberia Airlines drehte eine letzte Schleife und setzte dann zur Landung auf dem Flughafen Campo Grande an.
Keiner der Passagiere an Bord des vollbesetzten Jumbo-Jets war an diesem Spätnachmittag so müde wie der etwa vierzigjährige Mann in dem zerknitterten blauen Anzug, der ruhig auf seinem Platz in Reihe dreiundzwanzig saß.
Der Flug von München nach Madrid war ja noch erträglich gewesen, aber die lange Reise von Madrid nach Asunción hatte ihren Preis gefordert. Sein Körper fühlte sich ausgetrocknet an und schmerzte.
Vor fast drei Monaten hatte er Paraguay zuletzt besucht.
Damals konnte er Land und Leuten nichts abgewinnen, und es war eher unwahrscheinlich, daß es diesmal anders sein würde.
Die Moskitos. Die Hitze. Die temperamentvollen Einheimischen. Wenigstens würde dieser Aufenthalt nur vierundzwanzig Stunden dauern, und dafür war er dankbar.
Der Mann in dem dunkelblauen Anzug legte sich den ledernen Aktenkoffer auf den Schoß und ließ die Schlösser aufschnappen.
Sorgfältig untersuchte er den Inhalt und überzeugte sich, daß alles in Ordnung war.
Eine hübsche Stewardeß schritt den Gang entlang und überprüfte ein letztes Mal die Sicherheitsgurte. Der Mann blickte auf und betrachtete die braungebrannten Beine und die schmalen, wiegenden Hüften. Die junge Frau blieb neben ihm stehen, feuerte eine Salve spanischer Worte auf ihn ab und deutete auf den Aktenkoffer, bevor sie weiterging. Der Mann schloß den Koffer wieder, verstaute ihn umsichtig unter dem Sitz vor sich und stellte den Sitz zurück.
Durch das Fenster sah er auf die ausgedehnten schmuddeligen Vororte von Asunción, die flachen weißen und gelben Ziegelhäuschen und die Wellblechhütten in den Barrios. Die Maschine erbebte, und er hörte, wie die Klappen surrend ausgefahren wurden. Mit einem dumpfen Geräusch rastete das Fahrwerk ein.
Fünf Minuten später sah er die beruhigenden gelben Lichter der Rollbahn vor sich und spürte das Rumpeln der Räder auf dem Beton, als der Jumbo eine perfekte Landung hinlegte.
Der Mann – er hieß Meyer – hatte seinen Koffer vom Laufband genommen, und zwanzig Minuten später passierte er anstandslos den Zoll.
In der Menschenmenge der Ankunftshalle wartete bereits ein großer, blonder junger Mann mit einer kleinen Tafel. Pieter de Baers stand darauf. Meyer trat vor. Der junge Mann nahm ihm den Koffer ab und bedeutete ihm mitzukommen.
Ein schwarzer, schmuddeliger Mercedes parkte in der Nähe.
Meyer sah die drei Insassen an, die auf ihn warteten. Schmidt saß unbeweglich wie ein Felsbrocken auf dem Vordersitz, und zwei andere Männer hatten es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht.
Beide trugen makellose Anzüge und lächelten, als sie Meyer sahen.
Der eine war jünger, Mitte Dreißig, und trug einen hellgrauen Anzug. Er war untersetzt, und sein dunkles Haar glänzte von Gel. Man konnte ihn zwar nicht direkt als gutaussehend bezeichnen, aber er wirkte verwegen, und sein breites Gesicht war von vielen Jahren unter der Sonne braungebrannt.
Der zweite mußte Anfang Sechzig sein, sah jedoch erheblich jünger aus. Er war groß, schlank und sehr anziehend, sein silbergraues Haar mehr silbrig als grau, und er hatte es sich aus dem gebräunten Gesicht zurückgekämmt. Der Mann erweckte den Eindruck eines selbstsicheren Diplomaten und trug einen anthrazitfarbenen Anzug mit einem weißen Hemd und einer roten Seidenkrawatte. Seine freundlichen blauen Augen strahlten zuversichtlich. Ganz eindeutig besaß der Mann Charisma. Er hob die Hand und lächelte, als
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