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Meade Glenn

Meade Glenn

Titel: Meade Glenn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unternehmen Brandenburg
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dichter Vorhang aus dicken Flocken vor ihnen her. Als der Wagen vor dem Barbican anhielt, waren die Straßen mit Schnee bedeckt, doch der rege Londoner Verkehr verwandelte das jungfräuliche Weiß rasch in ein schmutziges Matschgrau.
    Einige Leute im Foyer erkannten Mrs. Volkmann und kamen zu ihr, um sie zu begrüßen. Nach dem Konzert gingen sie und ihr Sohn noch mit ein paar Freunden in ein italienisches Restaurant. Mrs.
    Volkmann hatte die Leute früher
    kennengelernt, als sie noch auf Konzerttourneen ganz Europa bereiste. Einer von ihnen war ein italienischer Diplomat, dem Volkmann noch nie zuvor begegnet war, und Mutter erzählte, daß sie seine Frau und ihn bei einem Konzert in Ravenna kennengelernt habe.
    Der Italiener war Ende Fünfzig, grauhaarig und ziemlich groß.
    Er wirkte sehr distinguiert, hatte jedoch ein theatralisches Wesen, und Volkmann fand, daß der Mann auf den Brettern einer Bühne besser aufgehoben gewesen wäre als auf dem Parkett der Diplomatie. Der Diplomat hatte Volkmanns Mutter acht Jahre lang nicht mehr gesehen, erinnerte sich aber sehr liebevoll an sie.
    »Sie hätten wesentlich besser gespielt als der Künstler, den wir heute abend gehört haben, bella Signora. Sie müssen unbedingt nach Rom kommen. Ich werde es arrangieren.«
    Er übertrieb maßlos, aber es heiterte sie trotzdem auf.
    Beim Dessert kam das Gespräch auf Politik.
    »Natürlich machen sich alle Sorgen. Es gibt soviel Instabilität.«
    Der italienische Diplomat zuckte mit den Schultern. »Wir können nur hoffen. Meine eigene Regierung hat eine neue Kredit-vereinbarung für Wirtschaftsunternehmen ratifiziert, die in Schwierigkeiten geraten sind. Aber die Banken, na ja, die Banken behaupten, es wäre kein Geld da. Wo soll das alles enden?« Der Diplomat zuckte noch einmal theatralisch mit den Schultern und widmete sich dann wieder seinem Dessert.
    Der wird auch weiterhin in den besten Restaurants essen, dachte Volkmann, und die erlesensten Weine trinken. Was bei ihm zu Hause vorging, traf ihn nicht im geringsten. Aber bei den Worten des Mannes mußte Volkmann an Sally Thorntons Bemerkungen denken.
    Es war schon nach eins, als das Taxi wieder in ihre Straße einbog. Es hatte aufgehört zu schneien, und als sie an dem Park vorbeikamen, bat die alte Frau den Fahrer anzuhalten. Den Rest des Weges wolle sie zu Fuß zurücklegen, die Bewegung, so sagte sie, bekomme ihr gut. Volkmann half ihr beim Aussteigen und hielt ihren Arm. Der Schnee war weich unter ihren Füßen, und seine Mutter ignorierte seine Proteste. Sie fühle sich jetzt schon viel besser, erklärte sie ihm, der Abend habe ihr gutgetan.
    Sie gingen durch das Tor in den Park. Die Bäume waren gespenstisch weiß, und der Schnee ließ die Umrisse ihrer Äste und Zweige deutlicher hervortreten. Die Lücken dazwischen wirkten wie graue Löcher.
    Auf dem Weg zum Haus hinkte Mutter nicht mehr. Einem Künstler, der krank geworden war, solle der Arzt eine Runde Applaus verschreiben, keine Pillen, hatte Volkmanns Vater einmal gesagt, und er mußte unwillkürlich lächeln, als ihm die Bemerkung wieder einfiel.
    Seine Mutter sah ihn an. »War Carinni nicht einfach göttlich?«
    Sie waren am Ausgang des Parks angekommen, und Volkmann sah auf sie hinunter.
    »Dich habe ich schon besser spielen hören.«
    Sie lächelte. »Du bist ein Schmeichler, Joseph. Aber du weißt, wie man das Herz einer alten Frau gewinnt.«
    Sie blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen, und während sie den verschneiten Park musterte, beobachtete er sie.
    Nach einer Weile ging sie weiter und trat durch die offenen Gittertüren. Er blieb dicht hinter ihr.
    »Das erinnert mich an etwas …« sagte sie.
    »An was?« fragte Volkmann.
    »An meine Kinderzeit. Als ich noch ein kleines Mädchen war.
    An Weihnachten. In Budapest hat es im Winter immer geschneit.« Sie sah ihn an, und er konnte undeutlich ihr Gesicht erkennen. »Aber das ist schon so lange her. Lange, bevor ich deinen Vater kennenlernte.«
    »Erzähl’s mir noch einmal.«
    Er hatte es schon gehört, sehr oft, und die Worte hatten für ihn etwas Beruhigendes an sich, wie eine vertraute Litanei. Die Jahreszeit des Überflusses in Budapest und die Vorfreude auf Weihnachten. Wenn die blaue Fahne über dem gefrorenen See am Oktogon-Platz wehte und bekanntgab, daß das Eis dick genug war, um Schlittschuhlaufen zu können; wenn rote Kerzen behaglich in den Fenstern der Häuser flackerten und das Gefühl der Wärme vermittelten; der Duft der Öllampen und

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