Meade Glenn
seine Kleidung gesorgt. Und natürlich hat sie ihre Töchter Friedl und Geli mitgenommen.«
»Was war mit ihrem Mann?« wollte Volkmann wissen.
»Der ist gestorben, als Geli noch sehr jung war«, erwiderte Johanna Richter. »Vielleicht machte das auch einen Teil der Anziehung aus, die Hitler auf sie ausübte. Er war schon sehr früh eine Art Vaterfigur für sie. Sie war ein sehr lebhaftes Kind, ein bißchen frivol, wenn man den Geschichtsbüchern Glauben schenken darf.« Frau Richter lächelte. »Sie ist in Wien geboren worden, also war es vielleicht eher ihr Wiener Charme.
Selbstverständlich spielt Eva Braun die Hauptrolle, wenn es um Hitlers Privatleben geht. Sie war die offizielle Geliebte Hitlers, jedenfalls steht das in allen Geschichtsbüchern. Aber vor ihr gab es Geli Raubal. Ihr gegenüber hatte Adolf Hitler zum erstenmal echte romantische Gefühle empfunden. Das Wort Liebe möchte ich vermeiden, weil dieser Mann zu menschlicher Liebe nicht fähig gewesen ist. Aber sagen wir mal, es war eine romantische Zuneigung, die erwidert wurde. Sie hat ihren Onkel bewundert, und er sie. Eine Zeitlang tauchten sie überall zusammen auf, und als Hitler von Berchtesgaden in eine Wohnung in München umgezogen ist, ging Geli Raubal mit. Sie studierte damals Medizin an der Münchner Universität, also war dieser Umzug sehr bequem für sie und außerdem eine Entschuldigung für beide, weiter zusammenbleiben zu können.«
»Was meinen Sie damit?«
Die Historikerin sah Volkmann und Erika lächelnd an.
»Denken Sie doch einfach mal nach. Es war eine sehr merkwürdige Beziehung. Die beiden, Onkel und Nichte, lebten in derselben Wohnung. Und Geli war erst dreiundzwanzig, als sie gestorben ist. Natürlich gab es in der NSDAP Getuschel über dieses Arrangement. Hitler hat immer schon junge, frische Mädchen bevorzugt, je jünger, desto besser, weil er keine Beziehung zu Frauen in seinem Alter aufrechterhalten konnte.
Außerdem konnte man jüngere Frauen leichter manipulieren, und sie fielen seiner Ausstrahlung eher zum Opfer. Von den sieben Frauen, mit denen er relativ gesichert intime Beziehungen hatte, waren die meisten noch sehr jung. Und von den sieben haben sich sechs umgebracht oder zumindestens ernsthafte Versuche dazu unternommen. Geli Raubal war diesbezüglich nicht die einzige.
Hitler scheint eine faszinierende Wirkung auf Frauen gehabt zu haben. Und zwar auf die, mit denen er intim war ebenso wie auf die große Masse der deutschen Frauen, als er zum ›Führer‹
wurde.
Wie viele Frauen in Deutschland fühlte sich auch Geli Raubal wie magnetisch zu ihm hingezogen. Sie hätte alles für ihn getan.
Auf jeden Fall wollte sie ihn heiraten, trotz des Umstandes, daß sie verwandt waren. Eine Zeitlang hat Hitler auch tatsächlich den Freier gespielt. Er hat sogar einigen seiner engsten Parteifreunde gegenüber Andeutungen fallenlassen, er wolle das Mädchen heiraten.«
Johanna Richter sah Erika und Volkmann bedeutungsvoll an.
»Wenn Ihnen das widerlich vorkommt, müssen Sie bedenken, daß sich zu dieser Zeit Hitlers ganze Brutalität noch nicht zeigte.
Seine Karriere war noch im Aufwind begriffen, und er begann gerade erst, sich politisch einen Namen zu machen. Vielen schien er dazu bestimmt, Deutschland zu führen. Geli Raubal hätte ihren Onkel nur zu gern geheiratet, trotz des Altersunterschiedes von neunzehn Jahren und der Tatsache, daß ihr Verwandtschaftsgrad geradezu nach Inzest roch. Also flirtete sie heftig mit ihm und hat ihn wohl verführt, wenn Sie so wollen.«
Der Wind klapperte wieder an den Fensterläden, und die Holzscheite im Kamin loderten auf. Volkmann starrte einen Moment in die Flammen, und sah dann wieder Johanna Richter an, die weitersprach.
»Es war natürlich eine absurde Situation, und sie konnte nicht ewig währen. Die Leute in der NSDAP, die Hitler nahestanden und wußten, was da vorging, waren außer sich. Ein Mann um die Vierzig, der seine blutjunge Nichte heiraten will! Im öffentlichen Leben verhielten sich die meisten Nazis zumindest nach außen hin streng moralisch. Wir wissen heute, daß sie im Inneren die reinsten Giftschlangen waren. Sie waren strikt gegen diese Verbindung, und zwar um so mehr, als der Wahlkampf vor der Tür stand. Hitler kandidierte als Reichspräsident. Es war eine entscheidende Zeit. Ein Sieg der Nazis war lebenswichtig für die Partei. Dafür hatte sie gekämpft. Geli Raubal war Hitlers Nichte und halb so alt wie er. Mit Sicherheit hätte eine Ehe oder
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