Meade Glenn
Schokolade«, sagte Johanna Richter. »Mein abendliches Ritual. Vielleicht wärmt es Sie ja auf, bevor Sie wieder zurückfahren müssen, und bietet Ihnen einen kleinen Trost, falls Ihre Reise vergeblich gewesen sein sollte. Das ist Hildegard. Sie ist Haushälterin in unserer Familie, seit ich ein Kind war.«
Sie bedankte sich bei der alten Frau, die zur Erwiderung lächelte und sich mit einem Gutenachtwunsch zurückzog.
Johanna Richter trank von ihrer Schokolade und sah ihre beiden Besucher an. Ihre intelligenten Augen musterten sie aufmerksam, bevor sie sich eine Zigarette anzündete. Ihre Finger hatten Nikotinflecken. Sie zog den Rauch tief ein und sah dann Volkmann an. »Was ist nun also so besonders an diesem Foto, Herr Volkmann?«
»Vielleicht ist es nicht wichtig, aber das müssen wir genau wissen. Es zeigt eine junge Frau und ist offenbar am 11. Juli 1931 aufgenommen worden …«
Johanna Richter unterbrach ihn freundlich. »Vielleicht sollten Sie mir das Foto einfach zeigen.«
Volkmann zog seine Brieftasche hervor und reichte der Historikerin die Fotografie, das Bild der jungen blonden Frau, die vor dem Hintergrund der Berge in die Kamera lächelte, und sich bei ihrem unsichtbaren Begleiter eingehakt hatte. Johanna Richter setzte ihren Becher ab und legte die Zigarette fort, nahm das Bild und hielt es mit beiden Händen fest. Dann blickte sie es eine Weile an, bevor sie wieder aufsah.
»Sie sagten, es sei am 11. Juli 1931 aufgenommen worden?«
»Das stand jedenfalls auf der Rückseite des Originalfotos.
Aber selbstverständlich können wir nicht überprüfen, ob das Datum stimmt.« Volkmann hielt inne. »Warum?«
Johanna Richter schüttelte den Kopf, als wolle sie seine Frage abwehren, und blickte dann erneut prüfend auf das Bild.
Gleichzeitig griff sie in ihre Tasche, zog eine Lesebrille heraus und setzte sie vorsichtig auf.
Mit undurchdringlicher Miene starrte sie lange das Foto an.
Der Wind pfiff wütend um das Haus und ließ die Fensterläden leise klappern, aber die Historikerin sah nicht auf.
»Erkennen Sie das Mädchen auf dem Foto?« fragte Volkmann schließlich.
Johanna Richter blickte langsam zu ihm hoch. »Ja«, antwortete sie.
SECHSTER TEIL
45. KAPITEL
Berlin-Nikolassee.
»Sie hieß Angela Raubal.«
Johanna Richter blickte wieder auf das Foto. Im gleichen Moment brachte ein Windstoß die Fensterläden zum Klappern.
Das Feuer knackte und prasselte im Kamin und ließ die Schatten im Raum tanzen.
»Wer war das?« fragte Volkmann, als die Historikerin aufblickte.
»Sie war Adolf Hitlers Nichte. Die Tochter von Hitlers Halbschwester, die ebenfalls Angela Raubal hieß. Das junge Mädchen wurde Geli gerufen, um sie von ihrer Mutter zu unterscheiden.«
»Sind Sie sich vollkommen sicher, was ihre Identität angeht?«
fragte Volkmann ernst.
»Ziemlich sicher. Ich habe ihr Bild schon sehr oft gesehen.
Dieses hier allerdings noch nie. Es ist in keinem Geschichtsbuch abgebildet.«
Volkmann musterte die Historikerin aufmerksam. »Und sie haben keinerlei Zweifel, daß es sich um dieselbe Person handelt?«
Johanna Richter schüttelte den Kopf. »Nicht den geringsten Zweifel. Während meiner akademischen Laufbahn habe ich mehrere Artikel über die Periode von 1929 bis 1931 geschrieben
– wie sie Hitlers Privatleben beeinflußt hat. Das Mädchen, Geli Raubal, hat darin eine sehr große Rolle gespielt. Ich habe ihren Werdegang so gründlich wie möglich studiert. Es war eine sehr schwierige Zeit für Hitler. Alle möglichen Probleme stürmten auf ihn ein, nicht nur die persönlicher Natur. Und diese Frau war eins davon.« Johanna Richter deutete auf das Foto und legte es dann auf den Tisch. Sie blickte Volkmann ins Gesicht. »Darf ich fragen, woher Sie dieses Foto haben?«
»Aus Südamerika.«
Die Frau hob kurz die Augenbrauen. Sie schien weitere Fragen stellen zu wollen, änderte dann jedoch ihre Meinung.
»Sie sehen nicht sehr überzeugt aus, Herr Volkmann«, sagte sie. »Was die Identität der jungen Frau angeht, meine ich.«
Volkmann sah Erika an. Sie sagte nichts, warf ihm aber einen langen Seitenblick zu. Dann betrachtete sie das Foto. Volkmann wandte sich wieder an Johanna Richter.
»Hier geht es um Gewißheit. Wir müssen absolut sicher sein.«
»Wenn Sie mir nicht glauben wollen, kann ich Ihnen gern einige andere Fotos von demselben Mädchen zeigen. Dann können Sie sie vergleichen und Ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Würde Ihnen das weiterhelfen?«
»Das wäre
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