Meade Glenn
bei.«
»Könnte es sein, daß die Nazis etwas vertuschen wollten?«
»Sie meinen, was den Tod des Mädchens angeht? Das wäre gut möglich, wenn man bedenkt, daß die Umstände ihres Todes niemals ganz geklärt worden sind. Aber das werden wir nie erfahren.«
Volkmann zögerte. »Ich habe noch eine letzte Frage, Frau Richter.«
»Ja, bitte?«
»Sie haben gesagt, daß Geli Raubal Patientin in einem Krankenhaus gewesen ist. Wann war das?«
»Ende Juni 1931. Sie hat einige Tage in einer Privatklinik im heutigen Garmisch-Partenkirchen verbracht.«
»Weswegen wurde sie behandelt?«
»Angeblich wegen Depressionen, weil Hitler sie verschmähte und sich heimlich mit seiner neuen Geliebten Eva Braun traf.
Andere behaupten, daß sie wegen einer kleineren Operation dort gewesen wäre. Ich weiß es nicht. Und Sie werden gewiß keine Krankenunterlagen finden. Die sind sicherlich schon längst verschwunden oder zerstört worden. Warum fragen Sie?«
Volkmann spürte den eiskalten Wind, der über den See fegte und sah, wie der Taxifahrer ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad tippte, während er sie durch die Scheibe beobachtete.
Er drehte sich um und sah Erika an, die den Kragen ihres Mantels gegen den Wind hochschlug. Johanna Richter wartete zitternd darauf, daß er ihre Frage beantwortete.
Volkmann ließ sich Zeit, bis er endlich sprach. »Diese Behauptung mag Ihnen absurd erscheinen, Frau Richter. Aber könnte Geli Raubal schwanger gewesen sein?«
Johanna Richter hob die Brauen und sah ihn an.
»Diese Behauptung wurde tatsächlich als einer der Gründe angeführt, aus denen sie angeblich von Hitler oder einem seiner Leute ermordet worden sein könnte. Bewiesen werden konnte sie nie. Ein Journalist aus der Zeit, ein Mann namens Fritz Gerlich, hatte behauptet, daß Geli Raubal schwanger gewesen sei und Hitler sie deshalb getötet hätte. Aber die Geschichte wurde niemals veröffentlicht.«
»Was ist aus Gerlich geworden?«
»Er wurde nach der Machtergreifung verhaftet und später in Dachau ermordet. Und seine Behauptungen sind niemals bestätigt worden. Abgesehen einmal von dieser Geschichte gab es auch noch andere Gründe, aus denen die Nazis Gerlichs Tod wollten.«
»Welche Gründe, Frau Richter?«
»Gerlich gehörte die Zeitung, in der er schrieb. Sie verfolgte einen scharfen antinazistischen Kurs. Viele Artikel und Kommentare haben Hitler verdammt, lange bevor er an die Macht gelangte.« Johanna Richter schwieg kurz. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Und wenn Geli Raubal schon vor ihrem Tod ein Kind hatte?«
bohrte Volkmann weiter.
»Sie meinen von Hitler?«
»Ja.«
Volkmann sah, wie sich die Miene der alten Professorin veränderte. Sie stand mit offenem Mund in der Tür, vollkommen überrumpelt von der Frage. Auch Erika sah ihn an. Sie war vor Entsetzen blaß geworden, so blaß, daß sie beinahe krank wirkte.
Schließlich erholte sich Johanna Richter. »Also wirklich, Herr Volkmann, so etwas wäre den Historikern niemals entgangen!«
Ihr Gesicht verzog sich erneut. Statt Überraschung malte sich jetzt Ungläubigkeit darauf ab.
Und diese Ungläubigkeit wurde zu Verärgerung, während sie die Schultern gegen die Kälte zusammenzog und erschauerte.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Volkmann?«
»Nein, natürlich nicht, Frau Richter«, antwortete Joseph Volkmann. Ruhig. »Sie waren sehr freundlich. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
46. KAPITEL
Während der ganzen Rückfahrt vom Nikolassee sprachen Erika und Volkmann kein Wort. Der Engländer betrachtete durch das Wagenfenster schweigend die Lichter Berlins.
Als sie vor dem Hotel am Kurfürstendamm hielten, blickte Erika ihm ins Gesicht. Ihre beunruhigte Miene verriet, daß sie noch immer von der Frage schockiert war, die Volkmann der Historikerin eine halbe Stunde zuvor beim Abschied gestellt hatte.
Im Zimmer ging Volkmann sofort zur Minibar und schenkte ihnen beiden einen Drink ein. Erika nahm den Scotch, den er ihr reichte, trat damit ans Fenster und wandte sich schließlich zu Volkmann um. Nach wie vor war ihr Gesicht leichenblaß.
»Du hast die Frage wirklich ernst gemeint, die du Johanna Richter gestellt hast, stimmt’s, Joe? Daß das Mädchen schwanger gewesen sein könnte? Daß sie ein Kind von Adolf Hitler hätte haben können?«
»Ja.«
»Aber das ist absurd, Joe.«
Volkmann stellte das Glas ab. Mit angespannter Stimme sagte er: »Erika, es paßt genau ins Bild. Es paßt zu allem, was wir über Karl Schmeltz wissen. Und
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