Meade Glenn
auch nur der Hauch eines Skandals verheerende Folgen für die Partei gehabt. Sie müssen sich die moralischen Werte dieser Zeit vor Augen halten. Diese Sache hätte Hitlers Bild in der Öffentlichkeit nicht gerade aufgewertet. Aber am Ende, denke ich, hätte er mit dem armen Mädchen nur ein hübsches Tänzchen veranstaltet, bis er sie satt hatte, und sich dann Eva Braun zugewandt.«
Volkmann warf einen Blick auf das Foto auf dem Tisch.
»Und warum hat Geli Raubal sich umgebracht?« wollte er wissen.
Johanna Richter überlegte einen Augenblick. »Wenn wir den Geschichtsbüchern glauben wollen, dann machte das Mädchen gerade eine emotional sehr schwierige Phase durch. Vermutlich merkte sie, daß sich Hitler allmählich von ihr zurückzog. Am 17. September 1931 hatten die beiden jedenfalls einen heftigen Streit in Hitlers Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz. Als Hitler die Wohnung verließ, verabschiedete sich Geli Raubal ruhig von ihm, ging in ihr Zimmer und schloß sich ein. Am nächsten Morgen wurde sie tot aufgefunden. Sie hatte sich aus nächster Nähe ins Herz geschossen. Auf dem Boden neben ihr lag eine Kleinkaliberwaffe. Die bayerische Polizei fand heraus, daß sie in den frühen Morgenstunden des 18. September gestorben sein mußte.
Hitler war schon in Nürnberg, als er die Nachricht von ihrem Tod erfuhr. Nach außen hin wirkte er am Boden zerstört, einige enge Parteifreunde jedoch munkelten, daß er eigentlich erleichtert war. Damit war das Mädchen wenigstens aus seinem Leben verschwunden. Und natürlich gab es jede Menge Gerüchte. Die Presse lief Amok und streute jede Menge Geschichten und Legenden unters Volk.«
»Was für Gerüchte?«
Johanna Richter lächelte ihn an. »Sie reichten von ›kaum zu glauben‹ bis ›schlicht lächerlich‹.«
»Nennen Sie mir ein paar.«
»Zum Beispiel glaubte man, daß Hitler das Mädchen in einem Eifersuchtsanfall umgebracht hätte, weil sie sich heimlich mit jemand anderem traf. Natürlich war Hitler zu Eifersuchtsanfällen fähig. Einmal soll er ihr während eines Streits die Nase gebrochen haben. Es wäre möglich, daß er sie umgebracht hat.
Er wäre auch dazu ohne weiteres fähig gewesen.
Ebenso existiert die Theorie, daß seine Parteifreunde sie ermordet hätten, weil sie seine Beziehung zu dem Mädchen als einen Skandal betrachteten, der ihre Chancen auf die Machtergreifung schmälerte. Aber wahrscheinlicher ist, daß das Mädchen sich aus Verzweiflung tatsächlich selbst umgebracht hat. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Ich würde sagen, daß es sich um eine Kombination aus Zufall und Verzweiflung gehandelt hat. Sie hat einfach begriffen, daß Hitler sie niemals heiraten würde, und wollte ihre Beziehung beenden.
Gleichzeitig war sie deprimiert. Die Wahrheit werden wir jedenfalls nie erfahren.«
»Was stand noch in den Zeitungen?«
»Es gab viele Gerüchte, und nur wenige waren einigermaßen glaubhaft. Die sensationslüsternsten unterstellten, daß Hitler seine Nichte getötet hätte, weil die Affäre ihm über den Kopf wuchs und sein Bild in der Öffentlichkeit zu ruinieren drohte.
Die Polizei ermittelte wegen des Selbstmordes und eben wegen dieses Gerüchts, aber es kam nichts dabei heraus, und es wurde auch nie Anklage erhoben. Es gab allerdings Stimmen, die den damaligen bayerischen Justizminister Gürtner beschuldigten, alle aktenkundigen Beweise unterschlagen zu haben. Die Akte jedenfalls ist verschwunden, und mit ihr sämtliche Beweise gegen Hitler. Und sie ist nie wieder aufgetaucht.
Als Hitler an die Macht kam, ist Gürtner sehr schnell in der Hierarchie aufgestiegen, wurde Reichsjustizminister, was für sich selbst spricht und das Rätsel eher noch vertieft. Vielleicht hat er Hitler tatsächlich geholfen, die Wahrheit zu vertuschen.«
Johanna Richter zuckte mit den Schultern. »Es gab sicher ein Geheimnis um den Tod des Mädchens, aber die meisten Angehörigen, die der jungen Frau nahestanden, glaubten, daß der Selbstmord nur ein tragischer und dramatischer Unfall gewesen war, als sie gerade besonders labil gewesen ist. Sie vermuteten, daß sie mit der Waffe nur herumgespielt hatte, als sie losging. Und ich bin geneigt, ihnen zu glauben.«
Volkmann betrachtete das Bild des Mädchens aus dem Chaco, die Berge im Hintergrund, den Arm des unsichtbaren Begleiters, in den sie sich einhakte, und die Hakenkreuzbinde.
»Wer, glauben Sie, war die andere Person auf dem Foto?«
fragte er die Historikerin.
»Vermutlich Hitler. Sie
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