Meade Glenn
großartig, Frau Professor.«
»Lassen Sie den Titel nur weg – auch das ist lange her.«
Die ältere Frau stand auf, ging zu einem Bücherregal und setzte ihre Brille wieder auf. Sie suchte die Regale ab, zog zwei Bücher heraus und kam wieder zu Erika und Volkmann zurück.
Sie legte die Bücher nebeneinander auf den Tisch und schob dann eins unter die Leselampe. Zwischen den Seiten lugten gelbe Papierstreifen heraus, offenbar Lesezeichen.
»Das sind Standardwerke, die sich mit dieser Periode beschäftigen. Das eine ist Tolands maßgebende Hitler-Biographie. Der Mann ist ein absoluter Experte auf diesem Gebiet. Ich habe ihn einmal bei einem Kolloquium in Harvard kennengelernt. Ein faszinierender Mensch. Das zweite Buch habe ich selbst geschrieben.« Sie lächelte kurz. »Meine eigenen
›fünfzehn Minuten‹ literarischen Ruhms.«
Volkmann sah auf das Buch mit dem blauen Einband, auf das sie eine Hand gelegt hatte. »Ich bin sicher, daß Sie noch Exemplare in einschlägigen Antiquariaten finden«, sagte sie leicht amüsiert. »Leider hat mein Buch nur mäßiges akademisches Interesse erregt.«
Sie schlug Tolands Biographie auf und blätterte die Seiten mit den Schwarzweißfotografien durch, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.
Ihr Finger deutete auf das Porträt eines jungen, dunkelhaarigen Mädchens, das vor einem schwarzen Daimler stand. Dahinter erhob sich verschwommen ein Wald. Volkmann schätzte aufgrund des Aussehens des Wagens, daß es sich um ein Modell der 20er Jahre handelte. Das Mädchen hatte einen Fuß auf das Trittbrett gestellt und stützte eine Hand in die Hüfte. Sie trug eine ärmellose, hellblaue Sommerbluse und einen dunkleren, knielangen Rock.
»Dieses Foto ist irgendwann im Sommer 1930 aufgenommen worden.«
Volkmann und Erika betrachteten das Bild genauer. Das Mädchen war dunkelhaarig und hübsch. Sie hatte zwar ein breites, kantiges Kinn, aber attraktiv war sie trotzdem. Sie wirkte wie ein fröhliches Mädchen, das sich bemühte, ernst in die Kamera zu blicken. Es bestand zwar eine schwache Ähnlichkeit zu der jungen Frau auf Volkmanns Foto, aber sie fiel nicht sofort ins Auge.
»Sie ist gar keine Blondine?« Volkmann sah Johanna Richter an.
Die ältere Frau lächelte und sah Erika einen Augenblick an, bevor sie Volkmann antwortete.
»Damals wie heute war es unter Frauen üblich, sich die Haare zu färben. Das Wasserstoffsuperoxid verändert vielleicht das Äußere, nicht aber die Gesichtsstrukturen. Sie bleiben gleich.
Die junge Frau hat oft ihre Haarfarbe geändert. Auf manchen Fotos ist sie dunkelhaarig, auf anderen blond. Wenn Sie jedoch genauer hinsehen, werden Sie feststellen, daß es sich um dieselbe Frau handelt.«
Johanna Richter öffnete eine Schublade ihres Schreibtisches, nahm ein Vergrößerungsglas heraus und reichte es Volkmann.
»Hier, bitte.«
Volkmann hielt das Glas über das Bild und veränderte die Höhe, bis er das Gesicht scharf sah. Die Gesichtsstruktur der Frauen auf den beiden Fotos war zweifellos gleich. Beide hatten sie ein breites Gesicht, ausgeprägte Wangenknochen, intelligent blickende Augen und einen dünnen, breiten Mund.
»Erkennen Sie die Ähnlichkeit?«
Volkmann nickte.
»Aber Sie sind immer noch nicht überzeugt, hab’ ich recht?«
fragte Johanna Richter. »Liegt es an der Haarfarbe?«
»Daran und an ihrer Figur.«
Die Historikerin lächelte. »Das stimmt, auf dem Foto in dem Buch sieht das Mädchen viel schlanker aus, auf Ihrem dagegen wirkt sie ziemlich plump. Ich zeige Ihnen noch eins, das im Frühjahr 1931 aufgenommen worden ist.«
Johanna Richter öffnete das zweite Buch. In der Mitte befand sich eine Reihe von Fotos, und sie blätterte sie kurz durch, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Dann deutete sie darauf.
Es war in einem bayerischen Restaurant aufgenommen worden.
Vier Leute saßen an einem Tisch, zwei Frauen und zwei Männer.
Die Frauen waren beide blond, die eine war noch jung, die andere etwa vierzig. Die jüngere der beiden ähnelte eindeutig der Frau auf Volkmanns Foto. Ihre Gesichtszüge waren voller und bemerkenswert ähnlich. Sie hatte blondes Haar, das sie zu Zöpfen geflochten hatte, wie es damals bei jungen Deutschen Mode war.
Sie trug ein traditionelles bayerisches Dirndl mit Spitzenbesatz.
Sie lächelte in die Kamera, als hätte jemand gerade einen Witz gemacht.
Volkmann erkannte die beiden Männer, die bei ihr am Tisch saßen, sofort. Bei dem Mann links von ihr handelte es sich um Adolf
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