Meade Glenn
befanden sie sich fünfzig Meter vor der Einmündung des Privatwegs, der zum Kaalberg hinaufführte. Die letzten zweihundert Meter hatte der Fahrer in niedriger Drehzahl zurückgelegt, damit man nicht gleich hörte, daß sie sich näherten.
Volkmann mußte unwillkürlich daran denken, was Erika wohl zugestoßen sein mochte, aber er verscheuchte den unliebsamen Gedanken sofort und versuchte, sich auf den Aufstieg zu konzentrieren, der vor ihnen lag. Die Schneeflocken stachen ihm ins Gesicht, und allmählich gewöhnten seine Augen sich an das dämmrige Licht. Er sah Lubsch an, welcher gerade mit dem Mann namens Hartig sprach, der nickte. Lubsch schlug ihm aufmunternd auf die Schulter, dann verschwand Hartig mit umgehängtem AK-47 im Schneetreiben.
Lubsch trat neben Volkmann. »Wir beide arbeiten uns durch das Wäldchen vor. Sobald wir nahe genug dran sind, benutze ich das hier.« Er deutete auf ein tragbares Funkgerät.
»Sobald die Männer weiter unten den Befehl erhalten, feuern sie auf die Wachen auf dem Plateau. Falls sie sie nicht töten können, werden sie versuchen, sie festzunageln. Hartig sucht nach der Stromversorgung und den Telefonkästen. Wenn er Erfolg hat, trennt er die Leitungen durch. Dann sind Kessers Freunde von der Außenwelt abgeschnitten. Das gibt uns einen kleinen Vorteil, weil sie keine Verstärkung mehr rufen können.
Wenn wir selber die Telefone benutzen müssen, kann Hartig uns wieder verbinden. Für den schlimmsten Fall müssen wir zur Telefonzelle auf der Hauptstraße fahren. Sie liegt einen Kilometer entfernt.«
»Warum die Stromversorgung? Sie haben vielleicht einen Notstromgenerator.«
»Den haben sie bestimmt. Aber Hartig ist der Experte, und er hat vorgeschlagen, sie abzuschneiden. Wenn der Notstromgenerator anspringt, dann versorgt er nur die Lampen und Steckdosen mit Saft. Aber Starkstrom, wie ihn zum Beispiel Elektromotoren brauchen, gibt der Generator nicht her. Und damit hätten wir die Rakete aus dem Verkehr gezogen.«
Lubsch grinste. »Aber darauf wollen wir lieber nicht setzen, Volkmann.«
Lubsch holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Sein Atem dampfte in der eiskalten Luft. »Wir müssen die Karten so ausspielen, wie wir sie bekommen. Noch haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite, also wollen wir hoffen, daß diese Mistkerle auf dem Plateau meine Leute nicht kommen hören.« Lubsch sah in den Himmel. »Verschwenden wir keine Zeit, Volkmann. Und achten Sie auf Stolperdrähte.
Von denen hat das Mädchen uns zwar nichts erzählt, aber man kann nie wissen.«
Lubsch sah auf seine Uhr und rief den Rest seiner Leute zusammen. Zwei Minuten später hatte er den Plan noch einmal geschildert, und sie verglichen zum letzen Mal die Uhren.
Im Reichstagsgebäude auf dem Platz der Republik herrschte Betrieb wie in einem Ameisenhaufen, und es war so hell erleuchtet wie ein Weihnachtsbaum.
Werner Bargel hatte hier noch nie soviel Aktivität erlebt. Nicht seit dem Mauerfall, als die Menschenmassen vom Brandenburger Tor aus über das Reichstagsgelände ausgeschwärmt waren. Eine denkwürdige Nacht war das gewesen.
Aber nicht denkwürdiger als die heutige.
Bargel schritt nervös vor dem Südeingang an der Scheidemannstraße auf den Stufen auf und ab, sein Atem schlug in der kalten Dezemberluft Wölkchen. Der Schock über Döllmanns Tod saß ihm noch immer in den Gliedern.
Das ging allen so.
Das massive, beeindruckende Granitgebäude war in der Vergangenheit schon oft Zeuge historischer Ereignisse geworden: der Reichstagsbrand, der Sturm der Russen auf Berlin, die Berliner Mauer, sowohl ihr Bau als auch ihr Fall.
Und jetzt würde das Gebäude erneut Zeuge der Geschichte sein.
Bargel kam es vor, als würde die halbe Berliner Polizei um das Gebäude herumschwirren.
Mindestens sechzig grün-weiße Streifenwagen und ebenso viele Mercedes-Transporter mit den Beamten des Einsatzkommandos standen da. Die Polizisten waren in voller Montur. Einige hatten Schäferhunde an den Leinen, weiße Helme auf, Plexiglasschilder, Tränengaspistolen. Vier Hubschrauber zogen über dem Platz Kreise. Ihre Motoren ließen die Luft wabern. Sie tauchten ab und zu im Blinklicht der Polizeiwagen auf.
Grünuniformierte Polizeibeamte mit besorgten Gesichtern wimmelten überall umher, standen in Grüppchen zusammen und redeten nervös miteinander. Andere Gruppen durchkämmten den kleinen Park gegenüber. Scheinwerferkegel zuckten hin und her, Hunde kläfften, und rauhe Stimmen bellten
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