Meade Glenn
Lunch zurückgekommen und hatte sich sofort an die Arbeit gemacht. Er ging Berichte durch und legte seine Unterlagen ab. Sie befaßten sich immer mit demselben: Drogen, Schmuggel, Terroristen. Es handelte sich um Berichte, auf die man entweder reagieren mußte oder die man gleich zu den Akten legen konnte.
Zwei Stunden später war er fertig. Draußen dämmerte es bereits. In den Bürohäusern in der Nachbarschaft brannten schon die ersten Lichter.
Er nahm den Zettel, den Ferguson ihm gegeben hatte, und wählte die Nummer der jungen Frau in Frankfurt. Als Erika Kranz abhob, erklärte er ihr, daß er ein Verbindungsbeamter von der DSE sei, und sagte, daß Paul Graf jemanden gebeten habe, mit ihr zu reden.
»Könnten Sie mir sagen, worum es sich handelt, Frau Kranz?«
Die Stimme der jungen Frau klang unbehaglich, und Volkmann hatte das Gefühl, daß ein ängstlicher Unterton darin mitschwang. »Ich möchte diese Angelegenheit lieber nicht am Telefon besprechen, Herr Volkmann. Aber wichtig ist sie schon.
Können wir uns treffen?«
»Ich könnte morgen früh nach Frankfurt kommen. Herr Graf hat uns Ihre Adresse gegeben. Oder möchten Sie sich woanders mit mir treffen?«
Die junge Frau schwieg einen Moment, bevor sie antwortete.
»Es wäre mir lieb, wenn Sie hierherkämen, Herr Volkmann.
Meine Wohnung liegt im obersten Stockwerk. Wäre Ihnen gegen Mittag recht?«
»Mittags paßt mir ausgezeichnet. Auf Wiederhören, Frau Kranz.«
Um fünf Uhr hatte Volkmann alle Akten auf seinem Schreibtisch abgearbeitet, ging hinunter in die Tiefgarage und fuhr nach Hause. Für Straßburger Verhältnisse hatte er eine sehr bescheidene Wohnung, eine kleine Dreizimmerwohnung in einem der alten Häuser am Quai Ernest, von der aus man einen Blick auf einen kleinen Spielplatz hatte. Die Fenster in Volkmanns Schlafzimmer wiesen auf den fünf Kilometer entfernten Rhein und nach Deutschland hinaus.
Es war schon nach zehn, als Kohler von der Deutschen Sektion mit dem angekündigten Ordner auftauchte. Er wirkte gereizt. Volkmann bot dem Mann einen Drink an, aber er lehnte ab. Anscheinend paßte es ihm nicht, daß er zu Volkmann in die Wohnung hatte kommen müssen.
»Würden Sie mir verraten, warum Sie die Akte des Mädchens haben wollen?«
»Aus keinem besonderen Grund. Eine Routineangelegenheit.«
Kohler hakte nicht nach. »Sorgen Sie bitte dafür, daß die Aktenkopie wieder zurückgegeben wird.«
Nachdem Kohler gegangen war, ließ Volkmann sich ein heißes Bad ein und genehmigte sich einen Scotch. Nach dem Bad legte er sich aufs Bett und las Erika Kranz’ Akte.
Und die erwies sich als sehr interessante Lektüre. Damit hatte er nicht gerechnet. Erstaunlich ungewöhnlich. Besonders bei einem Absatz lief ihm unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Als er zu Ende gelesen hatte, fragte er sich, ob der Bericht wirklich vollständig war. Er stand auf und trat ans Fenster.
Es hatte aufgehört zu regnen, und die Wolken waren schon lange verschwunden. Mittlerweile war es dunkel. Jetzt sah man die Lichter von Deutschland, die jenseits des Rheins in der Winternacht brannten. Er überquerte die Grenze nur, wenn es unbedingt sein mußte. Ferguson wußte, daß er nicht gern mit den Deutschen zu tun hatte. Bis auf wenige Ausnahmen vermied er auch jeden privaten Kontakt mit ihnen, selbst als er noch in Berlin gearbeitet hatte, dieser am wenigsten deutschen Stadt.
Er stellte den Alarm seines Reiseweckers auf sieben Uhr, löschte das Licht und ging ins Bett. Die Sätze aus der Akte der jungen Frau gingen ihm nicht aus dem Kopf, und er wälzte sich ruhelos hin und her, bis er endlich einschlief.
11. KAPITEL
Frankfurt am Main.
Freitag, 2. Dezember.
Volkmann fand den Wohnblock ohne Schwierigkeiten. Er lag etwas versteckt hinter einer Gruppe von roten Vorkriegsziegelbauten in der Nähe vom Eisernen Steg am Südufer des Mains. Erika Kranz wohnte in einem modernen, vierstöckigen Haus mit grauem Mansardendach. Die junge Frau wartete schon in der Tür ihrer Wohnung, als er aus dem Aufzug trat.
Sie war groß und hatte eine sehr weibliche Figur, einen dunklen Teint und hellblaue Augen. Sie trug enge Bluejeans, die ihre langen Beine zur Geltung brachten, hohe braune Lederstiefel und einen weiten schwarzen Pullover. Ihr blondes Haar hatte sie hochgesteckt, was ihre ausgeprägten Wangenknochen betonte. Offenbar benutzte sie kein Make-up, und ihre Miene war angespannt. Volkmann stellte sich vor und zeigte ihr seinen Ausweis, bevor sie
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