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Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner

Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner

Titel: Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Joseph
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Störtebeker von
     zwei Männern vertrimmt worden sei, woraufhin sich der berühmte Pirat an den langen Arm des Gesetzes um Hilfe gewandt habe. Das wirft natürlich Fragen auf:
     Störtebeker vermöbelt? Der Hüne, der mehr saufen konnte als alle anderen, in der Wismarer Innenstadt verkloppt? Und dann geht er ausgerechnet zur Polizei?
     Das mag man sich tatsächlich nicht so recht vorstellen bei einem Kerl, der nach seiner Enthauptung in Hamburg noch an elf seiner Kollegen vorbeigegangen
     sein soll – ohne Kopf. Vielleicht war »Stürzebecher« doch so etwas wie ein Synonym für Suffkopp. Dass so einen, wenn der Stoff alle ist, das Prinzip der
     »Gleichteiler« nicht sehr interessiert, kann man sich vorstellen. Heute ist natürlich Stoff genug da, und in Stralsund wird sogar ein Störtebeker-Bier
     gebraut – für alle, die den Rausch genießen.

    Ganz und gar unberauscht entschieden sich die Behörden im Jahr 2005 dazu, einen Teil von Lohme auf Rügen zu evakuieren. Hotel, Imbiss,
     Wohnhäuser – alles wurde zurGefahrenzone erklärt, weil der halbe Ort im Meer zu versinken drohte. Was war passiert? Die Steilküste war
     eingebrochen, Tonnen von Sand und Gestein hatten sich in Richtung Meer gewälzt. Vor einem Gebäude der Diakonie tat sich ein Abgrund auf. Eben hatte das
     Haus noch auf sicherem Grund gestanden – und über einen grandiosen Meerblick verfügt. Nun war es von einer Minute zur anderen lebensgefährlich, sich nur
     in seine Nähe zu begeben. Es musste abgerissen werden. Der Bau wurde mit automatischen Baggern abgetragen, weil kein Unternehmer seine Arbeiter auf das
     unsichere Grundstück schicken wollte. Das Gebäude beherbergte übrigens ein Heim für Suchtkranke.
    Tatsächlich haben es die Steilküsten in sich. Touristen sieht man immer mal an der Kante sitzen und mit den Beinen überm Abgrund baumeln. Einheimischen
     stockt da der Atem. Steilküsten sind labil, das lernt man bereits als Kind. Niemals würden wir uns nah an die Abbruchkante herantrauen – es sei denn auf
     dem Bauch robbend, abgesichert durch einen Partner, der, ebenfalls ausgestreckt auf dem Bauch liegend, einen an den Beinen festhält.
    Die Steilküste ist ein klassisches No-Go-Area der geographischen Art. Genau wie übrigens die Buhnen, die wie lange Finger ins Meer hineinreichen, um
     die Wellen zu brechen, wo sie sonst zu viel Sand wegschwemmen würden. Im Traum würde uns nicht einfallen, auf ihnen zu balancieren. Die Geschichte von dem
     Jungen, der mit einem zwischen den glitschigen Holzpfählen eingeklemmten Fuß kopfüber im Wasser hing, hat uns als Kleinkinder erfolgreich
     traumatisiert. Auch wer gern im Strandhafer wandelt, zieht den unverhohlenen Ärger der Einheimischen auf sich. Denn Strandhafer wächst auf den Dünen,und die sind ebenfalls Tabu. Dünen betreten – das kommt gleich nach Autolack zerkratzen. Sind sie doch der einzige Schutz davor, dass uns
     das Meer hier nicht mit Mann und Maus verschlingt, Leute!
    Wenn es darum geht, dass etwas im Meer versinkt, ist es an der Zeit, sich an die alte Geschichte von Vineta zu erinnern. Muss das ein Ort gewesen sein:
     In den einschlägigen Schriften alter Historiker wird die Ansiedlung als Metropole am Ostseestrand beschrieben. Als Multikulti-Stadt, in der Slawen und
     Germanen, Griechen und Barbaren so lange friedlich miteinander lebten, bis es vermutlich Schwierigkeiten mit der Integration gab und die Volksgruppen in
     Streit gerieten. Die einen sollen darauf die Dänen um Hilfe gebeten haben, die anderen die Schweden – und das Problem wurde dann auch gelöst: mit der
     Zerstörung der Stadt.
    Es gibt allerdings noch eine stimmungsvollere Variante dieser Geschichte. Sie begann an einem schönen Ostersonntagmorgen. Ein kleiner Schafhirte war am
     Strand unterwegs, als sich vor seinen Augen eine prächtige Gebäudeansammlung aus dem Meer erhob. Der Junge trat durchs Tor, wandelte auf den Straßen umher
     und kam schließlich auf den Markt voller Händler. Dort hätte er die Stadt freikaufen können. Und zwar mit einem einzigen Taler, einem symbolischen Euro
     gewissermaßen. Aber der Kleine hatte keinen Taler, ein Investor war nicht in Sicht, und so lief er aus der Stadt hinaus, die darauf wieder im Wasser
     versank.
    Ein alter Fischer erzählte dem Jungen dann die Vorgeschichte Vinetas: Den Leuten soll es dermaßen gut gegangen sein, dass die Kinder mit Geld auf der
     Straße spielten und ihnen aus Jux mit Brötchen die Hintern abgewischt wurden.

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